Halskette und Kalebasse
Puzzlespiel sehen und versuchen, jedem Teil seinen logischen Platz zuzuweisen. Aber es fehlten zu viele von diesen Teilen. Wenn die Prinzessin ihm nicht ausdrücklich befohlen hätte, bis zum Auffinden der Halskette inkognito zu bleiben, wäre er wenigstens in der Lage gewesen, etwas zu tun, die Dinge in Bewegung zu bringen. Er hätte sich in den Palast begeben und eine offizielle Untersuchung einleiten können, angefangen mit der Verhaftung der beiden Männer in Grau aus dem Büro des Oberaufsehers, die hinter ihm her gewesen waren. Sie verfolgten ihn natürlich nicht, weil er den Palast unter Vorspiegelung falscher Tatsachen betreten hatte, sondern weil sie im Sold der Verschwörer standen. Und die waren entschlossen zu verhindern, daß er in den Besitz der Halskette gelangte.
Da dieser direkte Weg ausgeschlossen war, fragte er sich, welche Alternative es für ihn gab. Die Zeit war knapp. Es blieben ihm nur noch die Nacht und der frühe Morgen, denn die Prinzessin würde um die Mittagszeit den Wasserpalast verlassen und in die Hauptstadt aufbrechen müssen. Er erhob sich und begann ruhelos auf und ab zu gehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
Das liebliche Gesicht der Prinzessin erschien vor seinem geistigen Auge. Die Dritte Prinzessin, die Lieblingstochter Seiner Majestät, umgeben von Dutzenden von Hofdamen und Hunderten von Zofen, beschützt von dem Obereunuchen und seinen riesenhaften Wachposten... dennoch allein, mit nur einer Hofdame, der sie wirklich vertrauen konnte. Der Kaiser gewährte ihr jeden Wunsch; er hatte sogar den in der Geschichte beispiellosen Schritt unternommen, ihr einen Blankoerlaß zur Berufung eines Kaiserlichen Untersuchungsbeamten anzuvertrauen. Eine so mächtige junge Frau und doch so schrecklich allein und verlassen! Er dachte an ihre großen, sorgenvollen Augen.
Sie hatte ihm zu verstehen gegeben, daß der Diebstahl der Halskette bezwecken sollte, ihr die Zuneigung des Kaisers abspenstig zu machen. Aber das konnte nicht der wahre Grund gewesen sein. Der Kaiser war als ein weiser, verständiger Mann von ausgewogenem Urteil bekannt, und der Verlust der Halskette würde kaum mehr als eine heftige Schelte zur Folge haben. Dennoch waren ihre letzten Worte gewesen, daß sie ihr Glück in seine Hände lege!
Bitter dachte er daran, daß sein übermäßiges Selbstvertrauen ihn einige schwere Fehler hatte begehen lassen. Seine Theorie über den Plan des ermordeten Kassierers, sich mit der Herbergswirtin zu treffen, war völlig falsch gewesen. Was hatte der junge Bursche aber dann in jener Nacht vorgehabt, als er zum Wasserpalast ging, um die Halskette zu stehlen?
Plötzlich blieb der Richter stehen. Ein zögerndes Lächeln erhellte sein angespanntes Gesicht. Und während er sich über den Backenbart strich, wurde ihm klar, daß es schließlich doch möglich war, unmittelbar zu handeln, ohne sich offen zu zeigen.
Rasch öffnete er seine Satteltasche und untersuchte ihren Inhalt. Als er ganz zuunterst ein einfaches Gewand aus schwarzer Seide und die dazugehörige breite schwarze Schärpe fand, nickte er zufrieden vor sich hin. Das war genau das, was er benötigte. Nachdem er sein braunes Reisegewand abgelegt hatte, streckte er sich auf dem Bett aus. Er brauchte dringend ein paar Stunden Schlaf, aber zu viele Gedanken nagten an seinem müden Hirn. Nachdem er sich lange hin und her gewälzt hatte, nickte er schließlich ein.
Fünfzehntes Kapitel
Als Richter Di aufwachte, war Ruhe in die Stadt eingekehrt. Er schätzte, daß es auf Mitternacht zuging. Der Himmel war ein wenig bedeckt, und gelegentlich kamen Windböen auf, aber er glaubte nicht, daß es regnen würde. Ein prüfender Blick in den vernachlässigten Garten zeigte, daß dieser leer war. Die Männer des Hauptmanns mußten in der Halle oder am Haupteingang der Herberge sein.
Er entkleidete sich vollständig, dann zog er eine weite schwarze Hose aus dünner Baumwolle an und darüber das lange schwarze Gewand. Für einen Augenblick erwog er, das wertvolle gelbe Dokument in dessen Kragen unterzubringen, besann sich dann aber eines Besseren. Wenn er scheiterte, wäre das Dokument nutzlos, denn man fände es bei seinem toten Körper. Dieses Mal ging es um alles oder nichts. Nach all dem Umhergetappe im dunkeln und all der Schattenfechterei endlich eine klare, eindeutige Entscheidung!
Leise summend schlang er sich einen Ledergürtel um die Taille. Die lange schwarze Schärpe band er kreuzweise um seinen breiten
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