Halskette und Kalebasse
Nachtgewand. Zufrieden stellte er fest, daß der Tee im Teekorb noch warm war. Nachdem er sich in den Lehnstuhl am Tisch gesetzt hatte, wechselte er das Pflaster auf seinem Unterarm. Dann knetete er den kalten Reis und die sauren Pflaumen zu Kugeln, wobei er den Holzdeckel des Reiseimers als Teller benutzte. Dieses einfache Soldatenmahl aß er mit Appetit und spülte es mit mehreren Tassen Tee hinunter. Solchermaßen gestärkt, nahm er die Kalebasse vom Wandtisch und legte sich auf sein Bett, die Schultern auf das hochgestellte Kissen gestützt. Die rote Quaste der Kalebasse unablässig verknotend und wieder aufknotend, ordnete er seine Gedanken.
Das Komplott der Halskette lag nun mit allen empörenden Einzelheiten offen vor ihm. Die Verschwörer im Palast wollten Oberst Kang belasten, um ihn als künftigen kaiserlichen Schwiegersohn auszuschalten und dadurch bei der Dritten Prinzessin bis zur Abreise in die Hauptstadt den erwünschten labilen Gemütszustand hervorzurufen. Die Dame Hortensie hatte den Obereunuchen und den Palastoberaufseher als mögliche Beteiligte an dem Komplott erwähnt. Doch da war noch ein dritter ranghoher Beamter, nämlich Oberst Kang. Und über ihn wußte er wirklich sehr wenig - nur, daß die Prinzessin in ihn verliebt war und Hauptmann Sju ihn bewunderte. Aber sowohl die Prinzessin als auch der Hauptmann waren voreingenommen. Die Verschwörer im Palast hatten behauptet, der Oberst habe eine Geliebte irgendwo. Auf den ersten Blick sah das nach einer böswilligen Verleumdung aus. Andererseits sollte man nicht vergessen, daß seine Ankläger erfahrene Intriganten waren, die es gewöhnlich vermeiden, einfach irgend etwas aus der Luft zu greifen. Sie würden eher dazu neigen, tatsächliche Vorkommnisse ein wenig zu verdrehen, eine Äußerung zu entstellen, indem sie ein paar Wörter veränderten oder die Betonung verschoben. Deshalb konnte er die Möglichkeit, daß der Oberst eine Freundin irgendwo hatte, nicht ausschließen. Die Tatsache, daß der Oberst die Halskette nicht gestohlen hatte, bewies nicht, daß er nicht indirekt beteiligt war.
Wie man einen Plan des Feindes zu seinem eigenen Vorteil benutzte, war eine Kriegslist, die in allen militärischen Handbüchern gelehrt wurde. Und der Oberst war in jener schicksalhaftten Nacht bei der Prinzessin gewesen. Vermutlich hatten sie zusammen am Fenster des Pavillons gestanden, und die Prinzessin hatte die Halskette auf den Seitentisch gelegt, bevor sie durch die Mondtür in das angrenzende Zimmer gingen. So daß Tai Min nur seine Hand durch das Fenster zu stecken brauchte, um sie zu ergreifen. Was, wenn es eine geheime Absprache zwischen dem Oberst und dem Kassierer gegeben hatte?
Welche Gruppe im Palast versuchte, ihn, den Richter, auszuschalten, war schwer zu sagen. Die Männer, die ihn im Auftrag der Dame Hortensie vom >Eisvogel< abgeholt hatten, trugen die schwarze Livree des Büros des Obereunuchen, aber das taten auch die anderen Männer, die ihn im Wald abgesetzt hatten, damit er ermordet würde. Die Männer, die versucht hatten, ihn festzunehmen, trugen die Tracht der Agenten des Oberaufsehers. All dies brauchte nichts zu bedeuten, denn sie konnten von jemandem im Palast angeheuert worden sein, der nicht ihr direkter Vorgesetzter war. Einschließlich Oberst Kang.
Den mysteriösen Herrn Hao ausfindig zu machen, würde natürlich unmöglich sein. Der einzige unmittelbare Hinweis auf die Verschwörer war, daß man die Palastwachen in der Nacht des Diebstahls abgelenkt hatte. Diesen Punkt würde er in Erinnerung behalten müssen, wenn und sofern es ihm jemals gelänge, auf der Grundlage der ihm durch den kaiserlichen Erlaß gewährten Sondervollmachten eine offizielle Untersuchung im Palast durchzuführen.
Er umschloß die Kalebasse fest mit beiden Händen. Seine Überlegungen warfen nicht das geringste Licht auf das entscheidende Problem, nämlich, was Tai Min machte, nachdem er die Halskette gestohlen hatte und bevor er auf der Straße nach Osten von Längs Männern erwischt worden war. Er mußte wieder ganz von vorn beginnen, ausgehend von dem Motiv des Kassierers. Die Entdeckung des Mordes an Lang hatte ihn, den Richter, zunächst entmutigt und zu der Annahme verleitet, daß seine Theorie über Tai Mins Motiv völlig falsch sein mußte, weil Frau Wei schließlich nicht in das entfernte Dorf gegangen war. Nun aber, nach reiflicher Überlegung, gelangte er zu dem Schluß, daß seine Theorie im wesentlichen doch zutraf. Farn hatte
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