Halte meine Seele
fragte Nash.
„Ein bisschen vielleicht.“ Die Eingangstür flog auf, und eine Horde Unterstufler drängte herein, einen Schwall eiskalter Luft mit sich bringend. Wenn die Schulbusse da waren, hieß das, es blieben nur knapp zehn Minuten bis Unterrichtsbeginn. „Ich muss noch die Chemiehausaufgabe fertig machen“, sagte ich und sprang auf.
Auch Nash stand auf. „Ich begleite dich.“
Spontan fiel ich ihm um den Hals und genoss einen Moment lang seinen vertrauten Geruch und seine Nähe – bis er weitersprach und das schöne, warme Gefühl einer Eiseskälte Platz machte.
„Hast du Carter heute schon gesehen?“
„Nein.“ Genauer gesagt, hatte ich ihn nicht mehr gesehen, seit er am Montag vom Parkplatz gerast war. Dienstag hatte er, angeblich mit einer Entschuldigung der Hausangestellten, die Schule geschwänzt, wahrscheinlich, weil er dem normalen Schulstress auf Entzug nicht gewachsen war. Und übernächtigt, wie ich war, hatte ich heute noch gar nicht an ihn gedacht.
„Sein Auto steht draußen.“ Weil immer mehr Schüler in den Gang drängten, fuhr er mit leicht gesenkter Stimme fort: „Aber wir haben erst nach dem Mittagessen zusammen Unterricht, und ich mache mir Sorgen, ob …“
Im selben Moment bog Scott Carter um die Ecke, selbstbewusst wie immer. „Da ist er ja.“
Nash folgte meinem Blick. „Er sieht ziemlich fröhlich aus.“
Sofern Scott kein Wundermittel gegen Drogensucht oder Entzug gefunden hatte, gab es dafür nur eine Erklärung: Er hatte Dougs Kontaktmann ausfindig gemacht und sich Nachschub besorgt.
„Vielleicht hat er sich einfach schnell wieder erholt“, sagte ich mit gespieltem Optimismus. Über die Alternative wollte ich lieber gar nicht nachdenken.
„Das werden wir gleich erfahren.“ Nash hob die Hand und rief über den Flur: „He, Carter, wo warst du gestern?“
Scott bahnte sich durch die Meute einen Weg zu uns herüber und klatschte mit Nash, dessen Lächeln bei der Berührung unmittelbar gefror, zur Begrüßung ab. Als Scott im Gedränge aus Versehen gegen mich stieß, verflogen auch meine letzten Zweifel.
Seine Haut war eiskalt, und sein Atem roch, als hätte er einen ganzen Hellion am Stück inhaliert.
„Krank.“ Scott grinste breit, obwohl es dafür keinerlei Anlass gab. „Bin kaum aus dem Bett gekommen. Carlita musste mich krankmelden. Gott sei Dank kann sie inzwischen ein paar Brocken Englisch.“
Nasch zuckte die Schultern. „Musst du viel nachholen?“
Doch Scott hörte gar nicht zu. Stattdessen starrte er aus zusammengekniffenen Augen angestrengt über meine Schulter. Als ich mich umdrehte, sah ich nichts weiter als unsere Schatten über die Spinde tanzen. Was er wohl sah …
„Carter?“, wiederholte Nash nach einem Blick auf die Schatten.
Wie um sich zu besinnen, schüttelte Scott den Kopf. „Nee“, antwortete er verspätet. Anscheinend hatte er die Frage doch gehört. „Die lassen mich wahrscheinlich nur den Test in Staatsbürgerkunde nachschreiben.“ Er klopfte sich vielsagend auf die Brust. „Ich bin Scott Carter, Mann. Niemand will es sich mit meinem Dad verscherzen, bevor das Footballteam nicht die neuen Matten und Übungs-Dummies für die nächste Saison bekommen hat.“
„Meine Güte, dein Name müsste dir zu Ehren wohl in fetter Goldschrift über der Eingangstür prangen, oder?“, murmelte ich und zauberte im letzten Moment ein Lächeln aufs Gesicht, damit es wie ein Witz klang.
Scott fiel darauf rein. Sophie nicht.
„Das sollte er“, schnurrte sie und strich ihm über den Rücken. „Schon blöd, dass deiner normalerweise von einem kranken Irren mit einem halb abgebrochenen Stück Kreide geschrieben wird. Beschriften sie die Sachen im Irrenhaus nicht so?“
„Nur auf deiner Station“, entgegnete ich scharf. Heute hatte ich einfach keinen Nerv, mir Sophies Mist anzuhören, und die Retourkutsche pushte mich mehr als drei Tassen Kaffee auf einmal.
Sophie lief knallrot an, als stünde sie kurz vor dem Explodieren, aber Scott lachte nur und klopfte Nash grinsend auf die Schulter. „He, die Wildkatze zeigt ihre Krallen! Schnurrt sie auch, wenn du sie streichelst? Die hier schon.“ Er zog Sophie an sich und grapschte ihr an den Po, was sie mit einem braven Lächeln quittierte. Der Blick, den sie mir danach zuwarf, war allerdings kalt wie Eis.
Ich nahm meinen Rucksack und lief an Sophie vorbei in Richtung meines Klassenzimmers. Beim Vorbeigehen hörte ich Scott fragen, ob sie die vierte Stunde mit ihm schwänzen
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