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Halte meine Seele

Halte meine Seele

Titel: Halte meine Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Vincent
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und betrachtete mein ungleiches Paar Socken. „Hhm.“ Wie sollte ich nur den Geschichtsunterricht überstehen, wenn ich nicht einmal zwei zusammengehörige Socken aus dem Wäschekorb fischen konnte?
    Eins musste ich Tante Val lassen: Sie war vielleicht eine eitle, Welten übergreifende Seelendiebin, aber die Wäsche hatte sie immer perfekt gefaltet.
    „Harmony und Brendon kommen heute Abend her, damit wir die Sache besprechen können. Vielleicht finden wir heraus, wie und warum es passiert ist.“ Dad machte eine Pause, um mir Kaffee einzuschenken  – und zwar in einer Riesentasse. „Ich habe dich nicht singen gehört.“ In den Ohren eines Banshee-Manns klang mein Schrei wie Gesang. „Heißt das, du hast heute nicht vom Tod geträumt?“
    Ich rieb mir die Schläfen. „Doch, habe ich. Der Traum war sogar derselbe wie beim letzten Mal, soweit ich weiß. Aber diese nervige Handywerbung hat mich aufgeweckt, bevor die Schreierei losging.“
    Stirnrunzelnd reichte mir Dad den Kaffeebecher. „Wenn du zu Hause bleiben und dich ausruhen willst, kann ich dich in der Schule krankmelden.“
    „Danke, aber ich muss hingehen.“ Ich legte die Hände um die Tasse und blies sachte hinein, bevor ich den ersten bitteren Schluck nahm. „Wir besprechen heute die Zwischenprüfungen.“ Zugegeben, das Angebot klang verlockend, aber ich wollte Scott und Doug im Auge behalten, um zu prüfen, ob sie sich bereits irgendwie verrückt benahmen. Und sichergehen, dass sich auf Emma und Sophie durch den direkten Kontakt mit den Jungs nichts übertragen hatte. „Außerdem könnte ich so einen Todestraum doch genauso gut tagsüber haben, oder?“
    „Wahrscheinlich schon.“ Dad musterte mich besorgt, die eine Hand auf der Stuhllehne. „Sei einfach vorsichtig, okay? Ich kann dir in die Unterwelt nicht folgen, und bis ich jemanden gefunden habe, der es kann …“ Damit meinte er vermutlich Harmony. „… könntest du schon sonst wo sein.“
    Ich verkniff mir den Hinweis, dass ich die Unterwelt – sofern keine Katastrophe eintrat wie das Versagen meiner Stimmbänder – auf dieselbe Art, wie ich sie betreten hatte, auch wieder verlassen konnte. Das wäre nicht das erste Mal.
    Denn ich ahnte, dass ihn diese Tatsache genauso wenig beruhigen würde wie mich.
    An diesem Donnerstag wandelte ich wie benebelt durch die Schule. In der Freistunde, die eigentlich zum Lernen gedacht war, schlief ich ein und überhörte den Gong, wodurch ich fast zu spät zur nächsten Unterrichtsstunde kam.
    Auf dem Weg in die Mensa erzählte mir Nash, dass Scott zwanzig Minuten zu spät und mit einem verkehrt herum angezogenen Hemd zum Wirtschaftsunterricht erschienen war, und mit dem falschen Schulbuch in der Hand. Und mitten in Mr Piersons Vortrag über den Einfluss des Aktienmarktes auf den internationalen Finanzsektor hatte er plötzlich laut losgelacht. Auf Piersons Frage, was so komisch sei, hatte er geantwortet, der Schatten des Lehrers habe ihm den Stinkefinger gezeigt.
    Die Hälfte der Mitschüler hatte in dem Glauben mitgelacht, Scott sei auf Drogen oder hätte einen Witz über Pierson gerissen, den sie nicht kapierten. Die andere Hälfte hatte ihn angesehen, als habe er den Verstand verloren, was der Wahrheit eindeutig näher kam. So wie es aussah, hatten wir zu lange gezögert, und Scott lebte jetzt in seiner eigenen Welt. Nash hatte wohl recht: Wir konnten Scott nicht mehr helfen.
    In der Mensa weigerte sich Scott, bei uns am Tisch zu sitzen – oder irgendwo sonst. Stattdessen blieb er stehen und blickte hektisch zwischen den bodentiefen Fenstern und den Schülern hin und her, die durch das einfallende Licht Schatten warfen. Nachdem er uns alle genau mit den Schatten an der Wand verglichen hatte, murmelte er etwas von verfolgt werden, hielt sich die Ohren zu und rannte, nach einer Hundertachtziggrad-Drehung, schnurstracks zur Tür hinaus. Sophie und ihre Freunde – genau wie alle anderen Schüler – starrten ihm ungläubig hinterher.
    Dann brachen sie in schadenfrohes Gelächter aus, das normalerweise Kiffern und Verlierern vorbehalten war. Nur Sophie machte ein Gesicht, als ob sie gleich losschreien oder sich übergeben müsste.
    Fast tat sie mir leid. Aber eben nur fast.
    Ohne uns um die Blicke der anderen zu kümmern, folgten Nash und ich Scott hinaus, doch er war nirgends zu sehen. Wir checkten alle leeren Klassenzimmer, die von der Haupthalle abgingen. Nash hatte Angst, das war deutlich zu erkennen, und ein schlechtes Gewissen noch

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