Halte meine Seele
dazu. Ich wusste genau, wie er sich fühlte. Wir hätten viel früher etwas sagen müssen – am besten gleich an dem Abend, als Doug mein Auto geschrottet hatte –, dann wäre Scott vielleicht erst gar nicht mit Frost in Berührung gekommen.
Am Ende des Ganges, hinter der Glastür, erspähte ich plötzlich eine Gestalt auf dem Parkplatz. „Er will zu seinem Auto!“, rief ich, und wir liefen sofort los. Die Ausgangstüren verriegelten sich automatisch. Waren wir erst mal draußen, mussten wir komplett ums Gebäude herum laufen und es durchs Sekretariat oder die Mensa wieder betreten, so wie ich, als ich den Ballon geklaut hatte.
Draußen war es verdammt kalt, aber wen störte schon die Kälte, wo wir gerade dabei waren, einen Freund zu verlieren.
Mit Nash im Schlepptau lief ich zielstrebig auf die Stelle zu, an der Scott normalerweise parkte. Sein Wagen stand drei Reihen weiter hinten als sonst, direkt neben dem Eingang zur Turnhalle. Als wir näher kamen, sahen wir Scott hinter dem Steuer sitzen und wie wild gestikulieren, während er irgendjemand Unsichtbaren anschrie.
Inzwischen führte er schon Gespräche mit seinen Phantomen.
Ob ich auch so verrückt ausgesehen hatte, damals im Krankenhaus, gefesselt und unfähig, mein Lied für die unbekannte Seele zu beenden?
„Los, weiter.“ Nash packte mich an der Hand, und wir rannten auf Scott zu. Der startete den Wagen, als er uns kommen sah, rammte den Rückwärtsgang rein und setzte so rasant aus der Parklücke zurück, dass er mit der Stoßstange ein anderes Auto streifte. Keine zwei Sekunden später war er auf der Straße, und wir sahen nur noch die Rücklichter seines Autos.
Blitzschnell wechselten wir die Richtung und rannten zu meinem Auto. Der Schultag war für uns eindeutig beendet. In diesem Zustand konnten wir Scott unmöglich durch die Stadt fahren lassen, also fuhren wir ihm hinterher.
„Sieht so aus, als fährt er nach Hause.“ Nash schloss den Gurt und klammerte sich ans Armaturenbrett, als ich bei Rot um die Kurve bretterte. Zum Glück war kein anderes Auto unterwegs.
Als Scott auch an der nächsten Kreuzung bei Gelb konsequent weiterfuhr, verloren wir ihn, doch wir kannten ja seine Adresse. Der Sportwagen stand quer über der Einfahrt, die Fahrertür sperrangelweit offen, aber keine Spur von Scott.
Die Haustür war seltsamerweise offen, also gingen wir hinein. Im Haus war es auffällig aufgeräumt und sauber. Scheinbar hatte die Haushälterin ganze Arbeit geleistet und alle Spuren der Party vom letzten Wochenende beseitigt.
„Scott?“ Nash stürmte durchs Foyer direkt ins Wohnzimmer. Keine Antwort. Wir suchten in der Küche, der Vorratskammer, dem Esszimmer, der Waschküche und den beiden Gästezimmern, bis wir bei Mr Carters Büro am Ende des Flurs ankamen – daran hatte ich nur schöne Erinnerungen.
Das Zimmer war bis auf das spärliche Licht, das durch die Jalousien hereinfiel, dunkel, und es dauerte eine Weile, bis sich meine Augen daran gewöhnt hatten.
„Tür zu!“ Scott riss geblendet die Hand vor die Augen, und ich machte vor Schreck einen Satz nach hinten. Doch Nash schob mich ins Zimmer und zog die Tür hinter sich zu, bis es fast dunkel war.
Als sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah ich Scott auf dem braunen Ledersofa in der Ecke kauern und vor sich hin murmeln.
„Kein Licht, kein Schatten. Kein Licht, kein Schatten …“
Obwohl die Luft im Zimmer stickig war, bekam ich eine Gänsehaut.
„Was ist los, Carter?“ Nash ging vor seinem Freund in die Hocke. „Tut dir das Licht in den Augen weh? Hast du Kopfschmerzen?“
Scott gab keine Antwort, sondern nuschelte mit geschlossenen Augen weiter vor sich hin.
„Ich glaube, er hat Angst vor den Schatten“, flüsterte ich. Denn ich erinnerte mich genau, wie erschrocken Scott ausgesehen hatte, als er in der Mensa unsere Schatten gesehen hatte und seinen eigenen im Flur am Tag zuvor.
„Stimmt das?“, fragte Nash besorgt. „Stimmt mit deinem Schatten was nicht?“
„Ist nicht mehr meiner“, flüsterte Scott mit hoher, ängstlicher Stimme. Er schlug sich mit den Fäusten gegen den Kopf, als hoffte er, auf diese Weise das, was er sah und hörte, loszuwerden. „Nicht mein Schatten.“
„Wessen Schatten ist es dann?“, flüsterte ich fasziniert, obwohl mich das Grauen mit kalten Fingern gepackt hielt.
„Seiner. Er hat ihn gestohlen.“
Ich bekam solche Angst, dass mir die Luft wegblieb.
„Wer hat ihn gestohlen?“, fragte Nash.
„Wie
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