Halte meine Seele
mich festzuhalten.
„In vielen Fällen ist es eine Erleichterung, Kaylee.“ Ich wich vor ihm zurück, Schritt für Schritt. Verschlimmerte oder verbesserte ich die Situation, wenn ich einfach wegging? Verschaffte ich uns damit die Gelegenheit, nachzudenken und einander zu vermissen? Oder würden wir merken, dass wir besser gar nicht zusammengekommen wären? Schließlich war es meine Schuld, dass Nash in der Unterwelt mit Dämonenatem in Berührung gekommen war. Er wiederum hatte mich angelogen und mit Scott allein gelassen, der mir fast die Kehle aufgeschlitzt hätte.
Vielleicht gehörten wir einfach nicht zusammen …
„Es ist wie eine mentale Betäubung“, erklärte er in der Hoffnung auf Verständnis. „Die Dinge, die einem wehgetan haben …“ Er zuckte die Schultern. „Die sind jetzt einfach … wie taub.“
„Ach, und du empfindest Gefühllosigkeit als Erleichterung?“ Was war das für eine verrückte Einstellung? „Hast du eine Ahnung, was ich für eine Erinnerung an meine Mutter geben würde, Nash? Was ich dafür geben würde, mich an die Zeit zu erinnern, als sie gelebt hat, und wie es sich angefühlt hat, als sie gestorben ist? Und du schmeißt deine Vergangenheit einfach weg!“
„So ist das nicht.“ Er schloss die Augen und atmete tief ein, obwohl die Luft schneidend kalt war. „Ich verliere die Erinnerungen ja nicht. Sie sind noch da.“
„Was bedeutet das schon, wenn du sie nicht fühlen kannst?“ Noch nie im Leben war ich so enttäuscht gewesen, so frustriert. Wie konnte er Avari einen so wichtigen Teil seiner Persönlichkeit überlassen?
Nash seufzte wieder, und in diesem kleinen Laut steckte das ganze Ausmaß seiner Hoffnungslosigkeit. Seiner Verzweiflung. „Das war der einzig akzeptable Preis, Kaylee. Das Einzige, wovon ich mich trennen konnte. Du würdest es verstehen, wenn du wüsstest, was er wirklich von mir wollte.“
Nashs Seele? Sein Blut? Seine Dienste? Diesmal sparte ich mir die Frage. Ich hätte keinen dieser Preise bezahlt, aber ich steckte auch nicht in Nashs Haut. Was hätte ich wohl geopfert, um nicht am Gift der Schlingpflanze zu sterben, hätten wir es nicht rechtzeitig in die Menschenwelt geschafft? Meine Seele sicherlich nicht. Aber hätte ich im Austausch für mein Leben vielleicht meine Erinnerungsgefühle verkauft?
Kam auf die jeweiligen Gefühle an …
„Welche Erinnerungen, Nash?“, fragte ich ängstlich. Hatte er Avaris Forderung bedingungslos angenommen? „Wie du das erste Mal auf dem Töpfchen gesessen hast? Als dir der erste Zahn gezogen wurde? Wie du gelernt hast, Fahrrad zu fahren? Was hast du eingetauscht?“
Er schüttelte langsam den Kopf. „Die intensivsten“, sagte er schließlich. „Nur die, die mir etwas bedeuten, sind auch für Avari von Wert.“
Ich konnte kaum atmen, weil mir ein Schluchzen im Hals steckte. „Du und ich?“ Mir fiel ein, wie oft Nashs Augen in den letzten Tagen ganz ruhig geworden waren, anstatt sich wie sonst gefühlvoll zu drehen. Hatte er sich da jedes Mal an etwas erinnert? Versucht, die alten Gefühle zu fühlen?
„Weißt du noch, was du gefühlt hast, als wir uns kennenlernten? Im Taboo?“ Ich stellte mich direkt vor ihn, damit ich ihm zum Beweis der schmerzhaftesten Theorie meines Lebens in die Augen sehen konnte. „Als du mich beruhigt hast, damit ich nicht schreie? Als dir klar wurde, wer ich war? Dass ich so war wie du?“
Seine Augen füllten sich mit Tränen, doch die Iris blieb schrecklich ruhig. Kein Wirbeln, keine Regung in den geliebten braungrünen Augen.
Ich schluckte gequält. „Unser erster Kuss?“
Traurig schloss er die Augen, damit ich die Wahrheit nicht sehen konnte, und ich raste fast vor Wut. Nein, verdammt! Wie hatte er das wegwerfen können? Bedeuteten ihm meine liebsten Erinnerungen weniger als der nächste Rausch?
Was hatte er noch verkauft?
„Was ist mit dem Tod deines Vaters? Dem Tag, an dem Todd gestorben ist? Fühlst du, was du gefühlt hast, als ich gestorben bin?“ Er schüttelte den Kopf, Tränen liefen seine Wangen hinunter, und für mich brach eine Welt zusammen.
„Es ist alles weg, Kaylee.“
Genauso wie ich.
Wutentbrannt zog ich seine Jacke aus und warf sie auf den Boden. Es war schneidend kalt. Ich lief los, auf das Holztürchen zu, und das Blut rauschte so laut in meinen Ohren, dass ich den Partylärm gar nicht hörte.
„Kaylee, bitte warte …“, flüsterte Nash in einem letzten, verzweifelten Versuch der Einflussnahme, doch ich lief erhobenen
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