Haltlos
keine Trauer, kein Entsetzen. Er stand reglos wie ein teilnahmsloser Beobachter, der dem Ausgang eines Experiments entgegenblickte. „Wer bist Du?“ rief sie ihm durch einen plötzlich aufkeimenden Nebel zu. Er schnellte mit dem Kopf in ihre Richtung herum, blickte in ihre Augen. Er sah schuldig aus, als fühlte er sich ertappt. Nein, er sah überrascht und verwundert aus, so als hatte er nicht erwartet, dass ihn jemand sehen konnte „Wie ist das möglich?“ knurrte er und wollte sich gerade von ihr abwenden, als Tessa ihn anflehte „Nein! Nein, bitte geh‘ nicht.“ Er verharrte in seiner Bewegung „Du kannst mich hören – oder? Bitte, ja? Du kannst mich doch hören? Gott sei Dank“, entfuhr es ihr aus purer Erleichterung, „Ja, du hörst mich doch. Du bist anscheinend der Einzige, der mich sehen und hören kann! Bitte hilf mir!“ In ihren Augen stiegen Tränen der Verzweiflung auf, sie versuchte sie zu unterdrücken. Doch sie hatte zu viel Angst – wusste nicht mehr wo sie war, als er erneut versuchte ihr zu entfliehen. Ein Grollen, tierisch, gefährlich, aus den Tiefen seines Körpers erfüllte den Raum zwischen ihnen und ließ Tessas Härchen im Nacken wie elektrisiert erstarren. Sie begann zu zittern. „Ich kann dir nicht helfen, du dürftest nicht einmal hier sein.“ „Aber…“ „Verstehe doch, Deine Zeit wird kommen, schon bald. Alles wird sich fügen!“ Das war alles was er zu ihr sagte. Tessa war verwirrt, lag in seiner Stimme Schmerz? Liebe? Sie musste sich geirrt haben, doch bevor sie etwas erwidern konnte wurde sie von ihrem eigenen Schrei geweckt.
Er hatte den Schmerz in ihren Augen gesehen und als er sich von ihr abwandte konnte er nur unter großer Anstrengung seinen Weg fort von ihr auf sich nehmen. Er wusste nicht, wie sie es geschafft hatte an diesen Ort zu gelangen. War er zu unvorsichtig? Er wollte sie nicht sehen, wollte nicht von ihrem Schmerz berührt werden, er durfte es nicht. Es würde alles nur verkomplizieren. Es lag an ihren Augen. Irgendetwas lag in ihren Augen, dass etwas lang Vergessenes tief in seinem Inneren berührten. Etwas, dessen Existenz er sich seit langem nicht mehr bewusst gewesen war.
Tessa schlug von kaltem Schweiß getränkt und mit einem Puls von mindestens 180 die Augen auf. Der Traum war vorbei. War es überhaupt ein Traum? Gerade als sie sich aufsetzen wollte, kam Josh kreideweiß in ihr Zimmer gestürzt. „Liebes, alles ist gut. Ich bin da Tessa, alles ist gut.“ Es waren die gleichen beruhigenden Worte, die er damals immer zu ihr sagte, um sie nach einen ihrer Albträume in die Realität zurückzuholen. Als ob die Realität zu dem damaligen Zeitpunkt besser gewesen ist, als ihre Träume von dem Unfall ihrer Eltern. Schließlich musste sie jedes Mal erneut feststellen, dass sie wirklich allein war. Jetzt setzte sich Josh zu ihr auf die Bettkannte „Mein Gott, du bist ja völlig durchgeschwitzt. Deine Decke ist nass. Hier“, er reichte ihr eine neue Decke, „nimm sie und setze dich auf deine Fensterbank an die Heizung, bevor du dir eine Erkältung zuziehst. Ich kümmere mich um dein Bettzeug und“, „Ähm, Josh“, Tessa räusperte sich, „Vielen Dank, für alles ehrlich, aber ich bin keine sieben Jahre mehr alt. Ich bin durchaus in der glücklichen Lage mein Bett mittlerer Weile allein beziehen zu können.“ Josh hielt inne und sah sie prüfend an. Er beschied abschließend „Du hast aber wieder Albträume gehabt. Und deinen Schreien nach zu urteilen, warst du gerade eben noch sieben und hast wieder von dem Unfall deiner Eltern geträumt, korrigiere mich, wenn ich da falsch liege!“ Tessa musste zugeben, dass er nicht vollkommen Unrecht hatte. Der Unfallort war zumindest ein zentraler Teil des Traumes. Aber bei Weitem war es nicht der Beunruhigendenste. Dass sie nicht antwortete bestärkte Josh in seiner Einschätzung. „Da haben wir’s! Und jetzt, mein Schatz, stell‘ Dich nicht so an und lass mich dein Bett in Ordnung bringen.“ Er zögerte kurz, „Oder wäre es dir lieber, wenn ich Dich wieder die ganze Nacht in eine Decke gewickelt herumtragen würde?“ Tessa verdrehte die Augen, konnte sich aber ihre Spitze nicht verkneifen „Als ob du das heute noch schaffen würdest, alter Mann!“ dennoch gehorchte sie und sah ihm von der Fensterbank aus zu, wie er das Bettzeug abzog. „Fordere mich nicht heraus, kleine Lady!“ War alles, was er mit einem Augenzwinkern zu ihr sagte. Als Tessa zu frieren begann, griff sie nach dem neuen
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