Haltlos
den Vampiren. Wie ein Blitz schoss ihm der Gedanke durch den Kopf. Der Ordenskrieger, vielleicht hatte er etwas gesehen, oder vielleicht hatte er dem Wesen auch etwas angetan. Als er diesen Gedanken in Erwägung zog, kochte Wut in ihm hoch. Aivan griff in seine Hosentasche und zauberte ein Handy hervor, in dem nur eine einzige Nummer gespeichert war. Die Nummer, unter der er Francis in solchen Fällen anrufen konnte, um ein Treffen mit ihm zu arrangieren. Beim Wählen der Nummer hielt er abrupt inne. Was war denn das gewese n? Was ist da gerade mit ihm geschehen? War das etwa ein Anflug von Besorgnis? Allein dieses Wort trieb ihm die Galle den Hals hinauf. Mit einer Handbewegung tat er es ab, dass konnte ohnehin nicht sein, da Vampire mit ihrer Wandlung sämtliche menschlichen Wesenszüge und lächerlichen Gefühle verloren. Er blickte sich prüfend in der Halle um. Ist ihm etwa jemand gefolgt, um ein durchtriebenes Spiel mit ihm zu spielen? In der Vampirbevölkerung war es nicht ungewöhnlich, dass andere versuchten, ihre eigene Position zu stärken, indem sie andere Vampire hinterhältig ins Aus spielten. Versuchte tatsächlich jemand seinen Geist zu manipulieren? Aivan konnte kein Sirren in seinen Synapsen spüren, ein untrügerisches Zeichen, das mit der Geistmanipulation einhergeht. Daraus folgerte er, dass er keinem Einfluss von außen unterlag. Aber wie sollte er sich das plötzliche Aufblitzen von Panik und Besorgnis erklären? Dieser Duft hing ihm immer noch schwer in der Nase. Wurde der Novize vielleicht dadurch abgelenkt? Und voller Bedauern stellte er fest, wie jung dieser arme Kerl doch erst gewesen war. SCHLUSS DAMIT! Was war denn verdammt nochmal mit ihm los? Er brauchte dringend frische Luft. So schnell wie möglich goss er eine Silberlösung über den Leichnam, versuchte die Kampfspuren und die umgefallenen Regale und Kisten zu beseitigen und rannte förmlich hinaus aus der Lagerhalle. Auf der Straße suchte er sein Ziel. Da es bald dämmern würde, waren bereits einige Passanten auf dem Weg zur Arbeit auf den Straßen unterwegs. Aber diese waren nicht das Objekt seiner Begierde. Sie würde bald in die Straße einbiegen, er konnte ihren Schweiß riechen. Dann weiter hinten am Ende der Straße bog eine Joggerin in seine Richtung ab und näherte sich nun unaufhörlich seinen Fängen. Die Joggerin ahnte nicht, was in der dunklen Hofeinfahrt auf sie lauerte. Aivan wartete geduldig, bis sie auf gleicher Höhe mit ihm war und schlug dann so geschmeidig, anmutig und mit der tödlichen Präzision einer Raubkatze zu. Er trank und mit jedem Schluck gewann er mehr und mehr Kontrolle über sich. Er schloss den Biss und entließ die Joggerin, die ihren Weg in leichter Trance fortsetzte, aus seiner Umarmung. Später würde sie sich an nichts erinnern können, außer daran, dass sie ihre Runde gejoggt war. Dank der Zusammensetzung des Vampirspeichels, würden weder Bissspuren, noch blaue Flecken oder gar nur der Hauch einer Rötung zurückbleiben. Nachdem das sauerstoffreiche Blut durch seine Kehle rann, ging es ihm deutlich besser, er ließ ihn wieder klar denken. Nur ein kleiner Hauch von Entsetzen hatte sich in seinem Unterbewusstsein festgesetzt. Aivan machte sich auf den Weg zurück ins Haus des Gelehrten Rates. Für heute Nacht hatte er eindeutig genug Aufregung gehabt. Einer unangenehmen Sache konnte er dennoch nicht länger ausweichen. Der Orden hatte das Recht – in seinen Augen wohl eher die Pflicht – nach einer spontanen Tötung Rechenschaft über den Vorfall beim Gelehrten
gegenüber
Rat abzulegen. Das bedeutete, dass sie Aivan aussagen mussten und dieser trug seine Ermittlungsergebnisse dann Samira vor. Aivan überlegte, ob das eventuell eine Chance sein könnte, mehr über das ominöse Wesen aus den Hallen zu erfahren. Er setzte sich ins Auto, atmete tief durch und wählte dann Francis‘ Nummer.
12.
„Cillian?“ Oh alles klar, Tessa wurde sich gerade darüber bewusst, dass sie träumte, als er den Weg zum Strand herunter gelaufen kam. Sie war wieder zu Hause. Tessa bemerkte sofort, wie sehr ihr ihre vertraute Umgebung fehlte, obwohl sie erst einige Tage weg war. Sie vermisste den Duft der Rosen, die ihre Mutter gepflanzt hatte. Sie vermisste ihre Katze. Sie vermisste das Lachen von Miranda und die langen Gespräche mit Josh. Ihr gesamtes Leben, zumindest kam es ihr so vor, hatte sie hier verbracht. Es war der einzige Ort, an dem sie immer noch ihre Eltern spüren konnte. Nun lag sie in der
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