Haltlos
Bissspuren. Erleichtert atmete Tessa tief durch. „Das hätten wir nie zugelassen“, Connor sah sie prüfend an, „ich meine, dass sie dich beißen würden.“ „Das habe ich mir schon fast gedacht, aber ich hatte so ein merkwürdiges Gefühl, ich wusste, dass sie nichts Gutes mit mir vorhatten, aber ich konnte nicht anders, als mit ihnen mitzugehen. Es fühlte sich sogar richtig gut an. Ich verstehe das nicht.“ „Das ist eigentlich ganz einfach zu verstehen. Vampire haben besondere Eigenschaften, unter anderem gehört die Betörung dazu“, „Betörung?“ „Uns ist kein anderer passender Name dafür eingefallen. Wir sind noch lange nicht soweit alle Fähigkeiten dieser Kreaturen offenzulegen. Nicht jeder Vampir besitzt die gleichen Affinitäten. Aber die Betörung sichert ihnen sozusagen den Blutfluss. Die Opfer werden durch eine spezielle chemische Zusammensetzung des vampirischen Atems gefügig gemacht. Wir werden quasi mit Drogen willenlos gemacht.“ Tessa hörte sich Connors Ausführungen zu einigen weiteren übersinnlichen Fähigkeiten, die Vampire haben können, an. Sie verstand, dass besonders alte Vampire auch die vielfältigsten mentalen und körperlichen Fähigkeiten besitzen. Es scheint wie ein Lern- oder Reifeprozess dieser Spezies zu sein. Abschließend befand Connor, dass weitere Einsätze für Tessa viel zu gefährlich wären, auch wenn es letzte Nacht alles glimpflich ausgegangen und die unrechtmäßig erschaffenen beseitigt und ihr Schöpfer an den Rat der Vampire übergeben werden konnte. Er erhält seine Strafe nun durch seine eigenen Leute. Wobei Connor bezweifelte, dass es den Vampir schmerzen würde. Tessa protestierte lautstark und schlug sämtliche Argumente Connor mit einem einzigen Satz nieder „Ich denke, Francis sollte diese Entscheidung treffen, nicht du.“ Und wie Francis entscheiden würde war Tessa klar. Sie würde weiterhin an allen Einsätzen teilnehmen dürfen. Warum es Francis allerdings so wichtig ist, dass Tessa sich an seinem Feldzug gegen die Vampire beteiligte, war ihr ziemlich egal, Hauptsache war, dass sie auf ihre Kosten kommen würde.
Während Amber durch die europäischen Hauptstädte und Edelboutiquen jettete und shoppte, veränderte sich Tessas Tag und Nacht Rhythmus. Sie begleitete den Orden nachts auf den Einsätzen, verbesserte ihre Kampftechnik und schaffte es sogar schon einen direkten Zweikampf mit einem jungen relativ unerfahrenen Vampir einige Minuten in die Länge zu zögern. Ihr Körper veränderte sich, wurde sehniger und definierter. Der Orden betrachtete sie nicht weiter als eine Art Maskottchen, sondern als Teil des großen Plans. Connor erkannte ihre Leistungen an und sie verbrachten viel Zeit miteinander. Ihr Auftauchen blieb jetzt jedoch den Vampiren nicht mehr verborgen.
Cillian war mehr als verwundert, als er durch offizielle Einladung zum Gelehrten Rat der Vampire nach Chicago bestellt wurde. Er hatte seines Wissens nach nichts Unrechtes – bzw. was in den Augen der Vampirgesellschaft als unrecht galt – getan. Und auch bei seinen sonst in der Menschenwelt als zwielichtige Geschäfte bezeichneten sonstigen Betätigungen, ließ ihn der Gelehrten Rat im Allgemeinen gewähren. Das hatte letztendlich nicht das Geringste mit der Tatsache zu tun, dass er die Arbeiten des Gelehrten Rates großzügig unterstützte. Als Mensch waren sie schon alle korrupt gewesen, als Vampir änderte sich nicht viel an dieser Gesinnung, warum nicht also alle Vorteile aus dieser Einstellung zum wirtschaftlichen und persönlichen Vorankommen ziehen? Nun stand er hier in Erwartung des Ungewissen in der Empfangshalle, ohne den blassesten Schimmer davon zu haben warum. Das Wenige, was er von seinem Verbindungsmann erfahren hatte, war, dass sein Erscheinen hier in Zusammenhang mit einem dringenden Anruf von Samira Draco, der Obersten des Gelehrten Rates aus Deutschland, zu stehen schien. Es war schon mehr als ein Menschenleben vergangen, dass er einen Auftrag für Samira erledigen sollte. Es gab eine Zeit, in der auf unerklärliche Weise unzählige Novizen verschwunden sind. Cillian folgte Samiras Ruf und spürte in Brandenburg eine im Untergrund agierende Bruderschaft auf. Nach eigener Aussage überwachte diese das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse. Sie töteten junge Novizen, wann immer sie der Ansicht waren, dass die Zunahme der Vampirbevölkerung für die menschliche Rasse zur Bedrohung werden könnte. Cillian war damals Jäger, Ermittler und Mittelsmann.
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