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Halva, meine Sueße

Halva, meine Sueße

Titel: Halva, meine Sueße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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er.
    »Noch schneller geht nicht. Erstens muss ich an den Patienten
denken und zweitens fliegen wir dann aus der Kurve.
Wollen Sie das?«
    Kai schüttelte hilflos den Kopf.
    »Sind Sie sicher, dass ich ihn alleinlassen kann?«, fragte Kai
den jungen Arzt, der mit ihm vor der Tür des Zimmers stand,
in dem sein Vater behandelt wurde.
    »Unkraut vergeht nicht. Ich kümmere mich um den Kollegen.
Gehen Sie nach Hause, Herr Blessing. Sie sehen aus,
als könnten Sie eine Mütze Schlaf gebrauchen.«
    »Okay. Rufen Sie mich bitte an, wenn er aufgewacht ist.«
    »Mach ich.«
    Kai wandte sich zum Gehen.
    »Herr Blessing? Wie ist denn das passiert? Der Kollege
hat sich doch nicht wirklich bei einem Sturz in der Küche
verletzt, oder?«
    »Nein. Das hat er nicht«, gab Kai ehrlich zu. »Er ist angegriffen
worden.«
    Der junge Arzt sah ihn ernst an. »Das hätte auch übel ausgehen
können. Sie müssen Anzeige erstatten.«
    Kai nickte kurz und wandte sich dann hastig zum Gehen.
    Vom Zentralklinikum aus nahm er ein Taxi zum Rathausplatz.
Der Fahrer schwieg mürrisch und Kai sah unruhig in
die Dunkelheit. Am Ziel angekommen, lief er an der streng
blickenden Statue von Kaiser Augustus vorbei zum Eingang
der Karlstraße. Doch plötzlich hielt er inne. Vom Welserplatz
her drangen Stimmen zu ihm hinüber. War das Halva?
Sein Herz klopfte schneller. Dann aber erkannte er, wer da
kam: Es waren Mudi und Miryam! Was machten die beiden
zusammen hier? Da war doch etwas oberfaul. Kais Gedanken
rasten. Wie war die ganze Sache eigentlich rausgekommen?
Hatte Miryam sie etwa verraten?
    Er drückte sich flach an die Säule eines Gebäudes am Rathausplatz, von wo aus er den Eingang des
Hafez
gut sehen
konnte. Die Stimmen kamen näher. Wo war Halva? War ihr
etwas geschehen? Weshalb war sie nicht bei ihnen?
    Kai spitzte die Ohren, aber er wurde enttäuscht. Die beiden
sprachen Farsi miteinander. Trotzdem konnte er hören,
wie erregt Mudi war. Das wäre er an seiner Stelle auch, dachte
Kai wütend.
Das hätte auch übel ausgehen können,
dachte er
an die Worte des jungen Arztes. Hatten Cyrus und Mudi
wirklich vorgehabt, sie anzugreifen, oder hatten sie sich eigentlich
nur an seinem Auto abreagieren wollen?
    Er lauschte wieder auf Mudi und Miryam und wagte einen
Blick um die Säule. Nun sah er die beiden besser. Miryam
hatte sich vertraulich bei Mudi eingehängt und redete wie
ein Wasserfall auf ihn ein. Kai wurde bei dem Anblick übel.
Er versuchte einzuordnen, was er da beobachtete, doch es
war umsonst. Mudi nickte nur immer wieder auf Miryams
Redeschwall hin. Er sah sehr blass aus. Ein Wort floss in das
andere, und das alles auf Farsi. Kai beobachtete noch einmal
die vertraute Haltung der beiden und verstand die Welt
nicht mehr. Was war hier los?
    Wie sollte er so erfahren, wo Halva war? Er zog wieder
sein iPhone hervor. Keine SMS, keine Nachricht. Er biss sich
auf die Lippen. Weshalb ging sie nicht ans Telefon?
    Die Kälte der Steinsäule in seinem Rücken kroch in sein
Herz. Kai fröstelte. Plötzlich sagte Miryam Halvas Namen.
Zweimal, dreimal in einem Satz. Sie schien Mudi etwas zu
fragen. Der schüttelte den Kopf und senkte seine Stimme,
ehe er hastig weiterredete. Im Licht der Straßenlaterne fiel
Kai sein blasses, eingefallenes Gesicht auf. Zwei oder drei
Male blickte Mudi sich über seine Schulter um.
    Plötzlich wurde Kai wütend. So wütend, wie noch nie
zuvor in seinem Leben. Sein Vater hatte ein Loch an der
Schläfe, die Freundschaft zu Mudi war auf immer dahin
und – Halva? Wo war Halva?
    Das Blut kochte nun in seinen Adern und gleichzeitig
bekam
er Angst. Große, unsinnige, unfassbare Angst. Er erinnerte
sich an alle Berichte, die er je in irgendwelchen Zeitungen
gelesen oder im Fernsehen gesehen hatte. Geschichten
über islamische Familien, die mit abtrünnigen oder auch
nur ungehorsamen Töchtern kurzen Prozess machten. War
das bei den Mansouris möglich? Gestern hätte er noch gesagt:
nein, auf gar keinen Fall. Aber heute im Morgengrauen
lagen die Dinge anders. Er presste sich noch flacher gegen
die Säule und beobachtete, wie Mudi und Miryam das
Hafez
aufsperrten.
    Als das Licht im Inneren des Ladens aufflammte, erhaschte
er einen weiteren Blick auf ihre müden Gesichter. Ehe sie
die Tür schlossen, packte Miryam Mudi an beiden Armen,
schüttelte ihn und schien ihn noch einmal zu ermutigen.
Mudi nickte nur dazu. Er wirkte wie in Trance. Niemand aus
der Familie war offenbar seit der
No-Rooz
-Feier ins Bett gegangen.
Kai schluckte.

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