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Halva, meine Sueße

Halva, meine Sueße

Titel: Halva, meine Sueße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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hin? Nach Hause, entschied er. Zu
ihm, wo sie hingehörte. Dann konnte man weitersehen. Eine
bleischwere Müdigkeit senkte sich auf ihn. Er wollte nicht
schlafen, aber musste es tun. Einfach um frisch zu sein, für
alles, was ihnen bevorstand.
    Halva legte sich wieder hin und lauschte. Sie hatte Rayas
Schritte im Gang gehört, die nun vor ihrer Tür verharrten.
Ihre Glieder zitterten: Was sollte sie jetzt tun? Sie hatte die
Wahl: sich einsperren lassen, gefügig sein und Sharim heiraten
oder die Freiheit an Kais Seite wählen. Was überlegte sie
überhaupt? Aber sie konnte nicht anders.
    Sie war nicht nur Halva, die Kai liebte. Sie war auch Halva,
die ein Leben lang glücklich Rayas und Cyrus’ Tochter gewesen
war. Aus und vorbei, dachte sie bitter. Sie lauschte
wieder. Hatte ihre Mutter sich ein Herz gefasst? Halva setzte sich auf, als sich der Schlüssel im Schloss der Tür drehte. Sie
zog die Bettdecke bis an ihr Kinn.
    »Hast du Hunger, Halva?«, fragte Raya. Sie hielt ein Tablett
mit heißem Tee und einem Teller mit zwei Marmeladenbroten
in den Händen. »Ich habe gedacht, du willst vielleicht
was essen, ehe Mudi dich zur Schule bringt«, sagte sie leise.
    Sie schien in dieser einen Nacht um zehn Jahre gealtert zu
sein. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten, und Halva
betrachtete die feinen Strähnen von Grau, die sich durch
ihre ansonsten noch immer vollen dunklen Haare zogen.
    Wenn ich mit Kai gehe, ist das mein letzter Morgen mit
ihr, dachte Halva plötzlich. Ihre eigene Trauer bei dem Gedanken
an die Endgültigkeit des Augenblicks überraschte
und überwältigte sie. Weshalb musste sie für ihre Liebe
diesen Preis bezahlen? Sie nickte und Raya setzte sich behutsam
auf ihre Bettkante. Halva nahm ihr das Tablett ab,
stellte es auf ihre Beine und aß.
    Beide schwiegen, bis Raya vorsichtig ihre Hand nach ihr
ausstreckte und leise fragte: »Darf ich …?«
    Halva nickte stumm, und ihre Augen füllten sich mit Tränen,
als Raya ihr übers Haar strich.
    Ihre Mutter rang nach Atem, ehe sie weitersprach. »Ich
kann dich verstehen, Halva. Das musst du wissen. Ich kann
dich aus ganzem Herzen verstehen.«
    Halva fuhr auf. »Was meinst du damit? Wie könntest du?«
    Raya schüttelte den Kopf. »Denkst du, ich bin blind? Du
bist mein Kind und ich sehe in deine Seele, mein Liebling.
Gestern Abend war so offensichtlich, was Kai und du füreinander
empfindet.«
    Halvas Herz schlug schneller. Was wollte ihre Mutter ihr sagen? Konnte sie ihr helfen? Würde sie dieses Risiko auf
sich nehmen? Früher, dem alten Baba gegenüber, vielleicht.
Aber heute? Halva war sich nicht sicher.
    »Ich habe damals ebenfalls einen anderen Mann geliebt,
als dein Vater anfing, mich zu verehren«, sprach Raya weiter.
»Ich habe ihn so sehr geliebt, dass ich sicher war, sterben zu
müssen, wenn ich nicht bei ihm sein konnte.«
    »Wer war das?« Halva hielt mit dem Kauen inne.
    Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Er lebt nicht mehr. Seine
Familie ist damals unter dem Schah sehr mächtig gewesen.
Doch statt sich, wie Mamii nach dem Tod meines Vaters,
ganz zurückzuziehen, haben er und sein Vater weiter gegen
das Regime gekämpft …« Die Stimme versagte ihr. »Cyrus
war die sicherere, bessere Wahl, um im Iran zu überleben. Er
war schließlich ein Soldat der iranischen Armee.«
    »Aber wie hast du dich für Baba entscheiden können,
wenn du doch einen anderen geliebt hast?« Halva hörte das
Unverständnis in ihrer eigenen Stimme. Sie konnte Rayas
Gedanken von damals, ihre Entscheidung, nicht nachvollziehen.
Momentan war jeder Weg, der sie nicht in Kais Arme
führte, schlimmer als der Tod. Raya sah auf ihre abgearbeiteten
Hände. »Mamii selber hat mir damals zu der Heirat
mit Baba geraten.«
    Halva ließ ihren Toast auf die Bettdecke fallen, wo die
Marmelade einen dicken dunklen Klecks hinterließ. »Was?
Mamii hat dir dazu geraten?!« Das war doch unglaublich!
    Raya sah aus, als ob sie nicht wusste, ob sie lachen oder
weinen sollte. »Ja. Das würde man heute nicht mehr glauben,
oder? Bei allem, was sie immer an Baba auszusetzen hatte.
Bei der Hochzeit konnte er mir kaum den Ring an den Finger stecken, so sehr hat meine Hand gezittert. Noch dazu
befand sich der Mann, den ich wirklich geliebt habe, unter
den Gästen. Wir hatten seine Familie einladen müssen. Du
weißt ja, wie das ist.«
    Halva nickte. Im Iran gab es kaum ein prachtvolleres und
wichtigeres Fest als die Hochzeit – oft zogen sich die Feierlichkeiten
über Wochen hin, und die

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