Halva, meine Sueße
stand Kai Halva gegenüber. Ihre Wangen glühten und ihre Augen leuchteten vom Tanz. Kais Herzschlag
stockte, als sie ihm die Hand reichte und nur ihre Fingerkuppen
sich berührten, während ihre Handflächen nicht
mehr taten, als einander gegenüber zu schweben.
Dass die Lippen wie die Hände tun,
dachte er sehnsüchtig.
Sie beide bewegten sich zu ihrem eigenen Rhythmus, der
sie wie eine Fessel aneinanderband. Kai zwang sich, Halva
nicht zu auffällig anzusehen, und spürte Wut und Schmerz
in sich aufwallen.
Wie lange konnte er es noch ertragen, sie immer nur ansehen
zu können? Wann war mehr möglich? Alles in ihm
brannte.
»Jetzt tanzen Sie mit mir, Kai«, ging Raya auf einmal dazwischen
und schon war ihr kurzer gemeinsamer Augenblick
verflogen. Die Musik wurde noch lauter. Kai folgte Raya,
Cyrus holte seine Zigarren hervor und Mudi goss die Gläser
zum wiederholten Male voll.
Es war ein ausgelassenes Fest und die Scheiben der Wohnung
an der Friedberger Landstraße beschlugen unter dem
Lachen von
No-Rooz.
»Tausend Dank. Sie müssen bald zu uns kommen«, sagte Uli
Blessing und drückte Raya ein wenig ungeschickt die Hand.
»Aber gerne. Frohes neues Jahr!«
»Prosit Neujahr. Wie spät ist es denn überhaupt?«, fragte
Kai, und ehe er auf die Uhr sehen konnte, sagte Mudi schon:
»Kurz vor eins. Schon beinahe wieder Montag.«
Wie herrlich, dachte Kai und schaute verstohlen zu Halva
hinüber. Ihre Blicke versanken ineinander und Kai riss sich
zusammen. Ein Blinder musste sehen, wie sehr er Halva anbetete. In dem schwarzen Kleid erahnte man ihre schmale
Figur und doch überließ der hauchdünne Stoff darüber jede
Menge der Fantasie. Seiner Fantasie, die einmal mehr gerade
Purzelbäume schlug. Wann konnten sie endlich einmal mehr
tun, als einander nur flüchtig in den Armen zu halten? Wann
war sie
sein?
Ganz und gar? Sein Begehren nahm ihm plötzlich
die Luft zum Atmen. Sie war
sein,
aber eben nicht
so.
Kai
atmete langsam aus, um sich wieder zu fangen.
In Halvas Blick glitzerte es. Sie fühlte dasselbe für ihn, da
war er sich sicher. Nur noch wenige Stunden und ein neuer
Tag brach an. Ein Montag. Ihr Tag. Zum Zusammensein im
Café und zum Frühstück im Drexl, dachte Kai frustriert.
»Hat es Ihnen gefallen, Kai?«, fragte Raya ihn und er nickte
hastig.
»Ja, sehr. Ich habe selten einen so herzlichen Abend verbracht.
Und das Essen war köstlich.«
»Ja, diese Reiskruste …«, fügte sein Vater hinzu und band
sich den Schal enger.
»Das
Tah-deeg?
Sie sind ein Kenner! Wir haben noch etwas
davon übrig. Bitte nehmen Sie es doch mit!« Raya wandte
sich schon in Richtung Küche.
»Nein, nein, meine Haushälterin kocht ja immer für
uns …«, wehrte Dr. Blessing ab, doch gegen Raya und
Tarof
hatte er keine Chance.
»Doch, doch. Ihre Haushälterin kann es Ihnen ja aufwärmen.
Ansonsten schmeckt
Tah-deeg
auch kalt gut.«
»Nein, bitte …« Uli Blessing hob flehend die Hände, doch
umsonst: Raya lief in die Küche und kam gleich darauf mit
einem mit Alufolie bedeckten Teller wieder.
»Lassen Sie es sich schmecken, Dr. Blessing. Vielleicht mag Ihre Haushälterin auch davon kosten! Noch einmal frohes
neues Jahr.«
Als Kai und sein Vater auf die Straße traten, wehte ihnen
laue Luft entgegen, so als hätte die Natur nur auf das persische
Neujahr gewartet, um nach dem langen Winter endlich
aufzutauen. Kai atmete tief ein. Ihm war leicht ums Herz. Na
also, das hatte doch ganz gut geklappt. Plötzlich schien eine
gemeinsame Zukunft mit Halva möglich. Eine Zukunft, in
der ihre beiden Familien noch viele solcher Abende verbringen
konnten. Aber aus dem richtigen Grund! Eine Zukunft,
in der er Halva vor aller Augen in seinen Armen hielt. Er
musste lächeln, wenn er an seinen tanzenden Vater dachte.
Ein wenig hatte er dabei ausgesehen wie Balu der Bär.
Zum ersten Mal seit Wochen fühlte Kai sich entspannt
und beinahe glücklich.
»Nettes Mädchen, diese Halva«, riss sein Vater ihn aus
seinen Gedanken.
»Hm«, gab Kai zu.
»Aber ich denke, du hast die richtige Entscheidung getroffen,
als du Abstand von der ganzen Sache genommen hast.
Das bringt nur Schwierigkeiten.«
Kai sah seinen Vater entnervt an, doch ehe er etwas
sagen konnte, drehte sich Uli Blessing nach der Haustür der
Mansouris um.
»Ah, sie sind schon reingegangen. Gut. Warte mal.«
»Worauf denn?«
Kais Vater antwortete nicht, sondern lief zu einer Reihe
von Müllcontainern auf dem Bürgersteig. Er öffnete einen
der Behälter und der Teller mit
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