Hanan 1 - Brüder der Erde
seine Schlüsse gezogen. Ob sie richtig waren oder nicht, konnte Kurt allerdings nicht beurteilen.
Das erste Licht der Morgendämmerung sickerte durch das Geflecht der Hüttenwand. Kta war eingeschlafen. Kurt blieb wach.
Plötzlich entstand Unruhe im Camp. Kurt hörte, daß Männer auf die Hütte des Häuptlings zuliefen, erregte Stimmen waren zu hören, und kurze Zeit später war das ganze Lager in Aufruhr.
Vier Männer traten in die Hütte und schleppten die beiden Gefangenen zu Renols.
»Wir haben Garets Brüder gefunden«, sagte der Häuptling und blickte Kurt an.
Kurt erwiderte seinen Blick und schwieg. Die Nachricht war für ihn weder beruhigend noch alarmierend. »Garets Brüder sind mir egal«, sagte er schließlich.
»Wir haben sie tot aufgefunden. Alle. Mit durchschnittenen Kehlen. Und die Spuren im Sand waren Abdrücke von Sandalen – Nemet-Spuren.«
Kurt warf Kta einen raschen Blick zu. Seine Bestürzung über diese Nachricht brauchte er nicht zu spielen.
»Zwei unserer Späher sind nicht zurückgekehrt«, sagte Renols. »Du hast behauptet, daß dieser da ein Häuptling der Nemet ist, ein Lord. Vielleicht stecken seine Leute dahinter. Frage ihn.«
»Du hast verstanden«, sagte Kurt auf Neachai zu Kta. »Sage irgend etwas.«
Ktas Gesicht verfinsterte sich. »Falls du glauben solltest, dir durch meine Aussage Zeit erkaufen zu können, so hast du dich geirrt.«
»Er hat nichts dazu zu sagen«, übersetzte Kurt. Renols schien das nicht zu überraschen. »Er wird bald etwas dazu sagen«, versprach er. »Astin, laß alle Wachen verdoppeln. Keine Frau darf das Camp verlassen. Raf, bring den Nemet auf den Platz.«
Es wäre ihm möglich, erkannte Kurt schaudernd, dieses Spiel bis zum Ende zu spielen. Kta würde ihn nicht verraten, so wie auch er die
Tavi
nicht verraten würde. Wenn er Kta opferte, würde ihm das vielleicht ein paar Stunden Zeit einbringen, vielleicht die entscheidenden Stunden bis zur Rettung. Und wahrscheinlich würde Kta ihm das nicht einmal verübeln. Es war immer schwer, sich darüber klarzuwerden, was Kta als eine vernünftige Handlungsweise betrachtete.
Er wurde von seinen Bewachern ebenfalls zu dem Platz in der Mitte des Lagers geschleppt. Kta ging stolz aufgerichtet, schweigend, würdevoll. Kurt selbst verzichtete auf jede Geste von Stolz oder Widerstand und paßte sich dem Schritt seiner Bewacher an. Um den kleinen Platz begann sich eine feindselig schweigende Menge zu sammeln.
Der Sand auf dem Platz war noch immer mit dunklen Flecken gesprenkelt, Spuren der gestrigen Massaker. Kurt fürchtete, daß er nicht den Mut zu einer so sinnlosen Selbstaufopferung haben und ihrer beider Leben kampflos aufgeben würde. Aber als sie Kta in der Mitte des Platzes zu Boden stießen, setzte seine Überlegung aus. Er riß sich los, schlug einen der Männer zu Boden, riß ihm die Axt aus der Hand und schwang sie gegen die beiden Tamurlin, die Kta festhielten.
Der Nemet reagierte sofort. Er stieß einen Mann unter die niedersausende Axt, rammte dem anderen das Knie in den Unterleib, riß ihm den Dolch aus dem Gürtel und ging damit auf die anderen los, wobei er die kurze Waffe blitzschnell und mit derselben Geschicklichkeit benutzte, die er beim Kampf mit dem
ypan
gelernt hatte. Männer gingen heulend und blutend zu Boden.
»Bogenschützen!« brüllte Renols. Die Mitte des Platzes war plötzlich menschenleer. Kurt und Kta standen Rücken an Rücken, während die letzten Tamurlin eilig außer Reichweite zu kommen suchten.
Renols war der einzige, der noch auf der Platzmitte stand. Kurt sprang ihn an, schwang die Axt über dem Kopf. Das Blatt drang tief in seine Brust. Renols ging zu Boden, eine klaffende Wunde in der linken Seite. Kurt schwang die Axt erneut und lief auf ein paar andere Männer zu. Und jetzt war auch Kta an seiner Seite. Schreiend stoben die letzten Tamurlin auseinander.
»Tötet sie!« schrie jemand.
Plötzlich brach das Chaos los. Heisere Schreie tönten aus dem Waldrand auf der anderen Seite der Lichtung.
Schreiend vor Panik stoben die Tamurlin davon, als zwischen den Hütten ein wilder Kampf zu toben begann.
Kta packte Kurts Arm und deutete auf die Gruppe von Nemet, die mit blitzenden Schwertern unter den Tamurlin aufräumten. Es gab keinen Widerstand, die Überlebenden des einseitigen Kampfes suchten ihr Heil in der Flucht, und kurze Zeit später waren nur noch Nemet im Lager. Alle Tamurlin waren entweder tot oder in den Busch geflohen.
Kta stand in der Mitte der
Weitere Kostenlose Bücher