Hand und Ring
beabsichtige, zwei dieser Briefe vorzulesen, sagte der Bezirksanwalt. Vielleicht wünscht der Herr Verteidiger zuerst Einsicht davon zu nehmen? Er bot Orkutt die Briefe dar, welche das Weib, das er liebte, an seinen Nebenbuhler gerichtet hatte.
Der Rechtsanwalt näherte sich dem Gefangenen; keine Miene seines Antlitzes verriet, was in seinem Innern vorging.
Haben Sie etwas dagegen, daß der Inhalt der Briefe öffentlich bekannt wird? fragte er.
Nein, war Mansells Antwort.
Nun wandte sich Orkutt an Ferris.
Lesen Sie die Briefe vor, wenn Sie es für gut befinden, sagte er kurz.
Der Bezirksanwalt verbeugte sich und las mit vernehmlicher Stimme:
»Sibley, N.-Y., den 7. September 1882,
Lieber Freund!
Du verlierst die Geduld und bittest um ein Trostwort in dieser Zeit der Unruhe und Ungewißheit. Was könnte ich Dir sagen, das Nu nicht schon alles weißt? – Ich glaube an Dich und Deine Erfindung und harre stolzen Mutes der Stunde, da Deine Arbeit die ersehnte Frucht getragen hat und Tu vor mich hintrittst, um meine Hand zu begehren. Meine Ungeduld ist so groß als die Deine, aber ich habe mehr Vertrauen als Du. Es kann ja nicht lange dauern, bis der Wert Deiner Erfindung erkannt wird; vielleicht leistet Dir auch Deine Tante die Hilfe, deren Du bedarfst, damit Dir der Weg zu Ehren und Ruhm offen steht. Ich kann an keinen Mißerfolg glauben. Wie innig Dein Gedeihen und mein Glück miteinander verbunden sind, weißt Du auch ohne meine Versicherung.Laß uns das Wiedersehen, nach dem wir beide verlangen, aufschieben, bis die Zukunft etwas gesicherter erscheint. Ich warte getrost darauf und bleibe, an Hoffnung reich
Deine
Imogen Dare.«
Der zweite Brief, den ich vorzulesen gedenke, fuhr Ferris fort, ist am 23. September, drei Tage vor dem Tode der Witwe geschrieben; er lautet:
»Lieber Craik!
Da Du darauf bestehst, mich zu sprechen und sagst, Du habest besondere Gründe, dies nicht vor aller Welt zu tun, so muß ich wohl einwilligen, Dich an dem Platze zu treffen, den Du für die Zusammenkunft bestimmt hast.
Ich weiß, daß dergleichen Heimlichkeiten Deiner ganzen Natur widerstreben, auch mir sind sie aufs äußerste zuwider. Möchte uns doch das Geschick so günstig sein, daß wir künftig nie mehr nötig haben, uns auf solche Weise zusammenzustehlen.
Ich werde voll banger Sorge auf Dich warten.
Imogen Dare.«
Der tiefe Eindruck, den die Briefe in der Versammlung hervorbrachten, war unverkennbar. In Sibley hatte man allgemein Imogens Verlobung mit Orkutt für nahe bevorstehend gehalten; um so mehr mußten ihre Beziehungen zu dem Angeklagten, die hier enthüllt wurden, die Anwesenden überraschen.
Inzwischen setzte der Bezirksanwalt das Verhör ohne Aufenthalt fort.
Wann und wo trafen Sie den Angeklagten der Verabredung gemäß, Fräulein Dare?
Am Montag nachmittag, den 25. September, in der Lichtung hinter dem Hause der Frau Klemmens.
Und was ging dort zwischen Ihnen vor? Ich begreife, daß die Erinnerung für Sie schmerzlich sein muß, kann sie Ihnen jedoch nicht ersparen.
Fragen Sie! entgegnete sie mit Würde, ich werde antworten, so gut ich vermag.
Sprach der Angeklagte mit Ihnen über seine Aussichten?
Ja, doch war er in sehr niedergeschlagener Stimmung.
Weshalb?
Es war ihm nicht gelungen, einen Kapitalisten für seine Erfindung zu interessieren, und seine Tante hatte ihm die Summe Geldes verweigert, die er von ihr entlehnen wollte. Er kam eben aus ihrem Hause.
Sagte er, auf welchem Wege er sich dorthin begeben habe? Erwähnte er den Pfad, der durch den Wald und quer über den Sumpf führt?
Nein.
Sprach er sich erzürnt darüber aus, daß seine Bemühung, das Geld von seiner Tante zu erhalten, fruchtlos gewesen war?
Ja, sagte sie nach sichtlichem Zögern.
Erinnern Sie sich, welche Worte er gebrauchte und ob sich daraus auf seine damalige Gemütsstimmung schließen ließ?
Imogen schwieg; sie fühlte das Auge des Richters auf sich ruhen; vielleicht gedachte sie ihres Eides.
Aller seiner Worte entsinne ich mich nicht genau, sagte sie endlich; doch weiß ich, daß er zuletzt ausrief: »Das Leben gilt mir nichts ohne Erfolg. Schon um dich zu gewinnen, muß ich alles daransetzen und ich werde es tun.«
Sie sprach mechanisch, ohne Nachdruck, als wolle sie der Rede jede besondere Bedeutung nehme«.
Und Sie selbst, fuhr Ferris fort, drückten Sie Ihre Entrüstung darüber aus, daß Frau Klemmens dem Gefangenen ihre Hilfe verweigerte?
Leider ja. Es schien mir grausam und hartherzig, daß sie
Weitere Kostenlose Bücher