Hand und Ring
ich mich noch einmal darin umsah, gewahrte ich eine große Mappe auf einem Gestell am andern Ende des Raumes. Ich ging hinüber, blickte dahinter, und was sah ich, Byrd – – ein bleiches Weib kauerte dort und blitzte mich mit funkelnden Augen an. Einer Vorstellung bedurfte es nicht – es war Fräulein Dare. Im nächsten Augenblick schon stand sie neben mir: »Sie sind ein Detektiv?« sagte sie mit stolzer Miene. »Nun, Sie wissen jetzt, was Sie erfahren wollten und können gehen.« Ich glaube, ich murmelte einige Entschuldigungen, verbeugte mich und verließ den Turm so schnell ich konnte. Aber mein Lebtag vergesse ich den Schreck nicht, wie ich sie hinter der großen Mappe versteckt fand; da hätte man lange nach ihr suchen können. –
Um Mitternacht desselben Tages, an dem Hickory so kühn in Professor Darlings Sternwarte eingedrungen war, stand Imogen Dare dort im Hause in ihrem Schlafzimmeram Tisch. Sie hielt einen Brief von Orkutt in der Hand und las in heftigster Gemütsbewegung die Worte:
»Ich habe Herrn Mansell gesprochen und seine Verteidigung übernommen. Wenn ich Ihnen sage, daß ich von den vielen hundert Fällen, die mir übergeben worden sind, in meiner ganzen Praxis nur wenige verloren habe, so wissen Sie, was das zu bedeuten hat.
Um Ihrem Wunsche nachzukommen, nannte ich Ihren Namen und gab dem Gefangenen zu verstehen, daß ich einen Auftrag von Ihnen auszurichten habe. Er unterbrach mich jedoch mit den Worten: ›Von Fräulein Dare nehme ich keine Botschaft an!‹
So sehr ich auch wünschte, Ihren Willen zu tun, ich mußte davon abstehen, denn sein Ton klang verächtlich, und aus seinen Blicken sprachen Haß und Abscheu.«
*
Dies war der ganze Inhalt der Zuschrift. Imogen hatte die Worte schon dreimal gelesen.
Wahrlich, er muß von Sinnen sein, murmelte sie vor sich hin, mir scheint das auch kein Wunder. Aber, so wahr Gott lebt, er soll mich hören, und wäre es auch vor versammeltem Gerichtshof, im Beisein des Richters und der Geschworenen.
Dann hielt sie den Brief in die Flamme des Lichts, daß er zu Asche verbrannte.
Drittes Buch.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Nach Sibley, wo der große Kriminalfall vor dem Schwurgerichte verhandelt wurde, richteten sich die Blicke des ganzen Landes; man war allgemein auf den Ausgang gespannt, in der Bevölkerung herrschte ungewöhnliche Aufregung.
Die erste Gerichtssitzung war zu Ende, und in einem Zimmer des Gasthauses saßen die beiden uns bekannten Detektivs in eifrigem Gespräch beisammen.
Mir scheint, die Sache steht schlecht, äußerte Byrd bedenklich, schlecht für den Angeklagten, meine ich.
Sie nehmen also Partei für Mansell? fragte Hickory verwundert.
Das nicht gerade, denn ich halte ihn nicht für unschuldig, und die Wahrheit muß ans Licht gebracht werden, mag daraus entstehen, was da will.
Sein echt männliches Auftreten nimmt wirklich sehr für ihn ein, das muß ich sagen, meinte Hickory. Der Ton, in dem er seine Unschuld beteuerte, klingt mir noch in den Ohren, so ruhig und überzeugend, so nachdrücklich und doch freimütig.
Ich glaube, man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören, so still war es im Gerichtssaal.
Wenn ich nur wüßte, was die verächtliche Miene bedeuten soll, die er zur Schau trägt, fuhr Hickory fort. Es ist nicht Stolz allein, auch keine Unschuldsmaske – die würde ich bald durchschauen – nein, es ist ganz etwas anderes, ich weiß nur nicht was. Dabei legte er bedächtig den Zeigefinger an die Nase.
Auch ich habe keine Ahnung, gab Byrd zurück und warf das Ende seiner Zigarre ins Feuer; Mansell ist mir ein unergründliches Rätsel – und Fräulein Dare desgleichen.
Das wird eine interessante Sitzung werden, wenn wir ihre Zeugenaussage zu hören bekommen.
Haben Sie wohl beobachtet, wie sie dasitzt, ohne einen Blick von dem Gefangenen abzuwenden, während er scheinbar kalt und gleichgültig nach der andern Seite schaut. Der Gedanke, daß sie es ist, die den Verdacht auf ihn gelenkt und ihn in seine jetzige Lage gebracht hat, verläßt ihn offenbar keinen Augenblick.
Hickory klopfte seine Pfeife aus. Soweit ich die menschliche Natur kenne, sagte er, würde Mansell dem Weibe gegenüber, das ihn verraten hat, eher Haß und Wut zeigen, als diese stumme Verachtung. Wer aus Liebe oder Ehrgeiz einen Mord begeht, der fühlt überhaupt zu leidenschaftlich, um Fräulein Dares Handlungsweise verstehen zu können. Wäre er unschuldig, dann freilich bedürfte seine verächtliche Miene keiner weiteren
Weitere Kostenlose Bücher