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Hand und Ring

Titel: Hand und Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
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Wort scharf betonend:
    Herr Ferris hat zwei Fragen an mich gestellt. Ich ziehe vor, die erste zu beantworten: wo ich mich zu der Zeit aufhielt, als Frau Klemmens ermordet wurde. Sie hielt inne und rang nach Atem. – Ich will Ihnen die Wahrheit nicht länger verbergen: ich war bei Frau Klemmens selbst, in ihrem Hause.
    Wäre ein Blitzstrahl aus blauer Luft vor dem Bezirksanwalt niedergefahren, er hätte ihn nicht unerwarteter treffen können als dies seltsame Bekenntnis, während er auf eine ganz andere Aussage gefaßt war.
    In Frau Klemmens' Haus? wiederholte er unter dem aufgeregten Gemurmel vieler hundert Stimmen. Habe ich recht gehört? –
    Sie lächelte kühl und überlegen; sie wußte, Ferris war machtlos ihr gegenüber. Ja, sagte sie fest, ich versichere bei meinem Eide, daß ich mich an dem Tage und zu der Stunde, als Frau Klemmens ermordet wurde, bei ihr im Hause, in ihrem Eßzimmer befand. Ich hatte mich heimlich dorthin begeben, fuhr sie, um jeden Einwurf abzuschneiden, mit fieberhafter Eile fort. Als ich an jenem Morgen allein im Turmzimmer von Professor Darlings Villa saß, die unweit des Waldes am Ende der Sommerstraße liegt, war mir plötzlich der Gedanke gekommen, sofort Frau Klemmens aufzusuchen, um den versprochenen Versuch zu machen, sie zu Gunsten ihres – ihres – des Angeklagten umzustimmen. Ich schlich mich die Treppe hinab, erreichte den Wald, ohne bemerkt zu werden und konnte mich so dem Hause der Witwe von der Rückseite nähern. Gegen Mittag langte ich dort an; ich fand Frau Klemmens allein im Hause – wenn noch jemand bei ihr gewesen war, so hatte er sich bereits entfernt – sie war gerade damit beschäftigt, ihre Uhr zu stellen – – – –
    Warum hielt denn die Zeugin plötzlich inne?
    Ferris hatte keinen Laut von sich gegeben; die Ueberraschung fesselte ihm die Zunge. Orkutt saß da wie gelähmt; sein Denken, Fühlen, das Leben selbst schien in ihm stillzustehen; er starrte Imogen versteinert an und las das Schreckliche, das da kommen sollte, in ihren verzerrten Mienen. Aber nicht auf ihn war ihr Blick gerichtet, sondern auf den Angeklagten, den plötzlich die bisher so strengbewahrte Fassung und Zurückhaltung verließ. Mansell war aufgesprungen, mit erhobener Hand stand er da, Imogen einen herrischen Befehl zuwinkend.
    Schon war er wieder auf seinen Platz zurückgesunken; das Auge des Richters hatte ihn getroffen. Aber das Zeichen war gegeben, man erwartete Imogen schwanken, ihren Mut gebrochen zu sehen. Sie aber ließ sich in ihrem Vorsatz nicht beirren; mochte die plötzliche Gefühlsäußerung Mansells sie auch tief erschüttert haben, sie schwieg nicht, wie er verlangte. Mit seltsamem, der Erde entrücktem Ausdruck wandte sie sich von ihm ab und den Geschworenen zu.
    Wie ich schon sagte, fuhr sie entschlossen fort, Frau Klemmens war dabei, ihre Uhr aufzuziehen. Als sie mich bemerkte, trat sie auf mich zu, und es entspann sich zwischen uns ein kurzes, aber zorniges Zwiegespräch. Sie war entrüstet darüber, daß ich sie aufgesucht hatte. Mein Interesse für ihren Neffen mißbilligte sie im höchsten Grade. Aufs äußerste gereizt und empört über ihre Worte, wollte ich mich entfernen – doch kehrte ich wieder zurück. Sie stand mit dem Gesicht nach der Uhr und schien meine Gegenwart nicht mehr zu beobachten. Da kam es über mich, ich weiß nicht, war es Liebe oder Haß, was mich von Sinnen brachte – aber – –
    Sie brauchte nicht weiter zu sprechen; ihre Haltung und Gebärde waren beredter als Worte. Ferris, Orkutt, sämtliche Zuhörer, die gespannt an ihrem Munde gehangen hatten, wurden plötzlich inne, daß sie keine Anklage gegen den Gefangenen aussprach, sondern sich selbst anschuldigte. Bis zum Wahnsinn getrieben, vor die furchtbare Wahl gestellt, ihren Geliebten dem Untergang zu weihen, oder sich selbst zu opfern, hatte sie zu dem verzweifelten Mittel gegriffen, sich hier, vor Richter und Geschworenen als die Mörderin der Frau Klemmens zu bekennen.
    Eine unbeschreibliche Bewegung entstand. Der Angeklagte,vielleicht der einzige unter allen Anwesenden, der ihre Absicht geahnt hatte, als sie zu reden begann, hatte erschüttert das Gesicht mit den Händen bedeckt; Orkutt stand vernichtet da, von widersprechenden Gefühlen überwältigt, unfähig, das Entsetzliche zu fassen. Auch Ferris war keines Wortes mächtig, der Gedanke, daß er, ohne es zu wollen, dies grausame Bekenntnis veranlaßt habe, raubte ihm fast die Besinnung. Schrecken und Aufregung verbreitete

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