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Hand und Ring

Titel: Hand und Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
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daß der Angeklagte erst um zehn Minuten vor zwölf Uhr das Haus der Frau Klemmens verlassen und doch um 1 Uhr 20 Minuten auf der Station beim Steinbruch anlangen konnte. Wollen es durch diese Zeugin beweisen?
    Ja, um festzustellen, daß die Behauptung der Verteidigung unhaltbar ist, war des Bezirksanwalts ruhige Erwiderung.
    Ich wäre doch begierig zu hören, was Fräulein Dare über diesen Punkt auszusagen hat, den eine Dame unmöglich beurteilen kann, rief Orkutt in ironischem Ton, seine starke Erregung gewaltsam bezwingend. Meine Herren, ich ziehe den Einspruch zurück; lassen Sie die Zeugin vernehmen!
    Er nahm, scheinbar völlig unbekümmert, seinen Sitz wieder ein, aber seine Blicke, die ruhelos von Imogen zu seinem Klienten hinüberschweiften, führten eine beredte Sprache.
    Betrachten Sie einmal den Angeklagten! flüsterte Byrd seinem Kollegen zu. Die Selbstbeherrschung, die er besitzt, grenzt ans Fabelhafte; er scheint nicht halb so erschüttert wie Orkutt.
    Aber seine Augen – sehen Sie nur diese Blicke! – man meint, sie könnten durch ihren schwarzen Schleier dringen.
    Er will endlich seinen Einfluß auf sie geltend machen.
    Ja, aber die Zeit dazu ist vorüber.
    Als Ferris jetzt seine Aufforderung wiederholte, erhob sich Imogen langsam, wie im Traum; mechanisch löste sie den Schleier, zog ihn herab und trat vor die Geschworenen hin. Was lag denn in den nun enthüllten Zügen, daß sich plötzlich eine so lautlose Stille über die ganze Versammlung breitete? Die Leichenblässe ihres Antlitzes wurde durch das eng anschließende, tiefschwarze Kleid, welches das Mädchen trug, noch schärfer hervorgehoben. Jede Spur fieberhafter Erregung war von ihr gewichen, unbeweglich stand sie da, mit gesenkten Lidern. Eben noch waren die Augen der Menge voll herzloser Neugier auf sie gerichtet gewesen; jetzt fühlte sich jeder bei ihrem Anblick von Mitleid und Furcht bewegt.
    Fräulein Dare, begann der Bezirksanwalt, sobald er seine Gefühle genügend bemeistert hatte, wollen Sie uns angeben, wo Sie sich um die Mittagsstunde des Tages aufhielten, an dem Frau Klemmens ermordet wurde?
    Noch ehe die Zeugin die Lippen öffnete, war Orkutt ungestüm aufgesprungen, entschlossen, vor der unbekannten Gefahr, die drohend nahte, auch keinen Fuß breit zurückzuweichen. Die Frage ist völlig unzulässig bei dem jetzigen Stand der Verhandlung, rief er in höchster Aufwallung; sie steht in keinerlei Beziehung dazu; jedes Kind muß das einsehen. Ich bitte den hohen Gerichtshof, mir hierin beizupflichten.
    Für Orkutt stand alles auf dem Spiel, Leben und Liebe, Imogens Herz und Hand. Dieser so heiß begehrte Lohn sollte ihm jetzt durch ein unbedachtes Wort vielleicht auf immer entrissen werden. Nicht minder erregt als sein Verteidiger zeigte sich der Angeklagte, der jetzt zum erstenmal, seit er vor Gericht erschienen war, seine Gefühle nicht zu beherrschen vermochte.
    Meine Herren, redete der Bezirksanwalt die Geschworenen an, ich setze meine Ehre zum Pfande, daß die ZeuginKenntnis von einer Tatsache besitzt, durch welche die ganze Verteidigung zunichte gemacht wird. Wenn meine Fragestellung dem Herrn Rechtsanwalt mißfällt, so bin ich bereit, mich deutlicher auszudrücken, wir kommen dann vielleicht noch schneller ans Ziel. Er wandte sich an die Zeugin: Sagen Sie uns, haben Sie den Angeklagten am Morgen der Mordtat später gesehen als zehn Minuten vor zwölf? Ja oder nein? –
    Es war heraus. Was Ferris beabsichtigte, konnte niemand mehr verborgen sein, und ein Murmeln der Ueberraschung lief durch die Menge. Orkutt, der trotz seiner unbestimmten Befürchtungen auf einen so vernichtenden Angriff nicht vorbereitet war, sah mit starrem Blick bald Mansell, bald Imogen an. Waren die beiden wirklich töricht und vermessen genug gewesen, ihn hinsichtlich eines so wesentlichen Punktes im Dunkeln zu lassen? Der bleiche Schrecken, der aus den Zügen des Angeklagten sprach, zeigte dem Verteidiger nur zu deutlich, daß von der Antwort der Zeugin alles zu fürchten sei. Eben wollte er noch einen letzten Versuch wagen, um die dringende Gefahr abzuwenden, als Imogen mit klarer, volltönender Stimme zu reden begann.
    Meine Herren, sagte sie, wenn Sie mir erlauben, meinen Bericht ungehindert zu erstatten, so wird es mir vielleicht gelingen, alle Teile zu befriedigen.
    Der Blick, den sie Orkutt zuwarf, schien diesen zu beruhigen, Hatte er sich vielleicht unnötige Sorge gemacht? Er nahm seinen Platz wieder ein, und Imogen sprach weiter, jedes

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