Handbuch für anständige Mädchen
Hinterteil des Elefanten hinweg, um zu sehen, ob Mr Hunters Sänfte zu sehen war. Doch die Schlange von Trägern in ihrem Gefolge schien etliche davon durch den Dschungel zu transportieren, und es ließ sich unmöglich sagen, in welcher Mr Hunter liegen mochte. Durch die bunten Seidendraperien des howdahs schien die Sonne jetzt warm auf ihre Schultern. Lilian entschied, dass sie tatsächlich in nordöstlicher Richtung reisten. Nicht dass es von Bedeutung gewesen wäre. Wenn sie es sich recht überlegte, genoss sie das Ganze viel zu sehr, um sich Sorgen zu machen.
Der howdah schwankte leicht von einer Seite auf die andere und wogte im Rhythmus der riesenhaften, ruhigen Schritte des Elefanten. Auf einmal trompetete das Tier – es hob den Rüssel wie zum Gruß und schwang den großen Kopf hin und her, sodass die bunten Perlen an seinem Kopfschmuck rasselten und im Sonnenschein glitzerten. Lachend klatschte Lilian in die Hände. Ravi grinste, entzückt, dass seine Beförderungsart so gut ankam.
»Ich kenne diesen Elefanten schon seit vielen Jahren«, sagte er stolz. »Ihr Dung wird auf meinem Gemüse verteilt.«
»In der Tat«, sagte Lilian.
»Und dennoch wächst es nicht gut. Kürbisse, ja. Aber Lauch? Damit erziele ich einfach keine Erfolge. Rosenkohl ebenso. Weiße Rüben?« Traurig schüttelte er den Kopf. »Nein. Dr. Rogerson wäre zutiefst enttäuscht. Vielleicht geht mir das nötige Verständnis ab. Wie mein ehemaliger Tutor sagen würde: ›Eifer ohne Wissen ist die Schwester der Torheit.‹« Er betrachtete Lilian mit verzweifelter Miene. »Sie haben, wie ich, viel übrig für das Pflanzenreich?«
»Ja. Und Sie haben hier so eine Fülle an überaus schönen Arten. Mir werden die Materialien ausgehen, bevor mir die Sujets ausgehen.«
»Vielleicht würden Sie sich bereit erklären, meine Kürbisse zu malen?«, bat Ravi eifrig.
»Es wäre mir ein Vergnügen. Und die Kürbisblüte ist selbstverständlich ganz besonders schön.«
»Ja, ja, das ist sie. Eine äußerst erlesene Pflanze. Und die Rübe und der Rosenkohl, die sind ebenfalls ganz ausgezeichnet. Derartige Delikatessen habe ich häufig in Oxford genossen, zubereitet von Dr. Rogersons Haushälterin, Mrs Heggarty. Rosenkohl liebe ich ganz besonders. Mrs Heggarty bereitete ihn mir stets zu, wenn ich darum bat.« Er seufzte. »Doch jetzt ist es der Blumenkohl, der mir das größte Kopfzerbrechen bereitet. Es hat ganz den Anschein, als ließe sich dieses überaus köstliche Gemüse nicht in Indien anbauen. Ich habe alles versucht, doch ohne Erfolg.« Dann klatschte er in die Hände und schenkte ihr unvermittelt ein glänzend weißes Lächeln. »Doch hat mir unser Herr Shiva nicht zwei englische Gärtner gesandt, die mir bei meinem Wunsch helfen sollen, diese überaus erlesenen Gemüsesorten anzupflanzen?« Er setzte sich auf seinen Kissen zurecht und sah Lilian gespannt an. »Geben Sie mir bitte einen Rat. Ist mein Boden zu hart? Zu weich? Zu mager? Zu schwarz? Gibt es zu viel Wasser? Nicht genug Wasser? Zu viel Sonne oder Schatten?«
»Wirklich, ich weiß nur wenig über Gemüseanbau …«, setzte Lilian an.
»Aber Ihnen sind die Gemüsesorten vertraut, von denen ich spreche?«
»Ja, allerdings weiß ich wenig darüber, welche besonderen Bedingungen ihnen zusagen.«
Ravi runzelte die Stirn. »Das wollte ich eigentlich nicht hören.« Nachdem er diese unangenehmen Neuigkeiten einen Augenblick verdaut hatte, schien er es sich jedoch anders zu überlegen. Er lächelte, »Miss Talbot. Bitte verstehen Sie mich. Ihnen ist natürlich bewusst, dass Sie sich jetzt weit, weit weg von Ihren Freunden befinden? Diesem Umstand sollten Sie vielleicht Rechnung tragen. Das wird bestimmt dabei helfen, Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, was Ihr wunderbares englisches Gemüse betrifft.«
Mr Hunter konnte sich in keinster Weise an die Reise erinnern. Er war so im Opium- und Brandyrausch gewesen, dass er keine Ahnung hatte, wo er war oder was mit ihm geschah. Entfernt hatte er das Gefühl, bewegt zu werden, einen Traum, von Eingeborenenhänden hochgehoben und auf parfümierte Kissen gelegt zu werden, den Eindruck, dass Zeit verstrich und eine Strecke zurückgelegt wurde, doch diese Gefühle waren vage und gestaltlos, und er hätte nicht zu sagen vermocht, wer ihn von seiner Decke auf dem Dschungelboden gehoben hatte, ebensowenig, wann und warum man es getan hatte. Später, als er im Delirium zitterte und schwitzte und schrie, stellte er zu seiner
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