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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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Verblüffung fest, dass er sich nicht länger im Dschungel befand, sondern auf einem von weicher weißer Draperie umgebenen charpoy und dass eine kühlende Brise über seinen schwitzenden, juckenden Körper wehte. Vielleicht war dies ein Trugbild, murmelte er in einem klaren Augenblick in sich hinein, und sein Geist war schon derart umnebelt, dass ihn sogar sein Sehvermögen und seine Urteilskraft im Stich gelassen hatten. Doch dann spürte er kühle Finger an seiner Stirn, und er wusste, dass Lilian bei ihm war. Er entspannte sich. Er nippte an der bitteren Flüssigkeit, die ihm an die Lippen gehalten wurde, und wenn er versuchte, den Kopf abzuwenden (denn es war wirklich ein überaus unangenehmes Gemisch), drehten ebendiese Finger seinen Kopf wieder zurück und drückten ihm erneut das Gefäß an die Lippen. Zarte Hände wechselten seine durchnässten Laken, hoben ihn hoch und ließen ihn auf ein kühles, frisches Bett mit sauberer Bettwäsche sinken. Mr Hunter seufzte. Er murmelte ihren Namen, bevor er einschlief.
    Seine Haut wurde gelb und schuppig, seine Augen wurden glasig und bekamen Ringe mit dunklen Schatten. Er hatte sich in seinen schweißnassen Laken verheddert und zitterte.
    Als Mr Hunter endlich, schwach und erschöpft, das Fieber abschüttelte, stellte er fest, dass er sich in einem Raum von prächtigen Ausmaßen befand. Mit rot geränderten Augen sah er sich um. Also hatte er doch nicht geträumt. Das Zimmer war hell und luftig, die Wände waren mit Mosaiken geschmückt und glitzerten dank der vielen Spiegel. Vorhänge aus einem transparenten Stoff umgaben sein charpoy und wehten in der Brise des sanft schwingenden punkah- Fächers. Nachdem er die Träger überredet hatte, ihm zu helfen, während er zum Fenster hinüberwankte, stellte er fest, dass sein Zimmer auf einen gewaltigen, ummauerten Garten voller exotischer Pflanzen und Bäume hinausging, von denen er manche noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte, wie er mit Sicherheit annahm.
    Er bat die schweigenden Träger, die sich um ihn kümmerten, sein Bett ans Fenster zu stellen, damit er den Garten sehen könnte. Er fragte nach Lilian, doch sie schüttelten den Kopf und murmelten vage Entschuldigungen. Dann, als er eines Tages lustlos auf das blättrige Grün hinausstarrte, erspähte er sie, wie sie in einer entlegenen Ecke hinter ihrer Staffelei saß, inmitten von etwas, das wie ein Gemüsebeet aussah (aber gewiss keines sein konnte). Sie trug einen azurblauen Sari und wurde von einem gewaltigen schirmhaften Baldachin, den ein Träger hielt, vor der Sonne geschützt. Sie blickte auf und sah ihn. Sie winkte ihm mit ihrem Pinsel zu und lächelte. Mr Hunter hob die Hand. Zu mehr fehlte ihm die Kraft.
    Im Laufe der folgenden Tage schlief er viel. Er aß tüchtig. Er sammelte Kräfte, und sein Gesicht wurde wieder voller. Sein Backenbart gewann seinen prächtigen Glanz zurück. Jeden Tag brachte ihm eine Gruppe schweigender Träger Essen und Trinken auf glänzendem Silbergeschirr, badete ihn, zog ihn an, brachte ihm Bücher über die Gärtnerei und ging wieder. Die Bücher waren auf Englisch und sahen zerlesen aus. Mr Hunter döste auf seinem charpoy und blätterte wahllos in seiner Lektüre herum.
    Später, als er in der Lage war, sein Bett ohne Hilfe zu verlassen, fiel ihm auf, dass die Träger stets die Tür hinter sich absperrten. Mr Hunter erbat sich wiederholt, Lilian zu sehen. Warum wollte sie nicht zu ihm kommen? Man sagte ihm, sie arbeite im Garten an ihren Bildern. Er bat, ihren Herrn sehen zu dürfen. Anfangs schüttelten die Träger einfach den Kopf. Später murmelten sie, ihr Herr sei beschäftigt und würde seinen Gast ein anderes Mal treffen. Bald schon ernteten seine Fragen stures Schweigen. Wie Rapunzel starrte Mr Hunter verzweifelt aus seinem Fenster.
    Eines Tages erblickte er eine kleine, rundliche Gestalt in goldenen Pyjamahosen und weißer khurta, die Füße in etwas, das wie Gummistiefel aussah, beim Umgraben in dem Gemüsegarten. Mr Hunter rief und winkte. Die Gestalt rief und winkte zurück. Später an dem Tag wurde Mr Hunter aus seinem Zimmer geholt.
    Man führte ihn eine breite, glänzende Marmortreppe hinab. Er durchquerte schimmernde Marmorkorridore und ging unter glitzernden Kronleuchtern hindurch. Darstellungen indischer Krieger, die sich die Zeit mit Kämpfen und den anschließenden Vergnügungen vertrieben, säumten die Wände in einer scheinbar endlosen Galerie militärischer Triumphe und Belohnungen. Endlich wurde er

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