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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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Sie mir so diskret in mein Zimmer zurückgeholfen haben. Ich kann mich nur begrenzt an das Vorgefallene erinnern, auch wenn ich mir durchaus darüber im Klaren bin, dass ohne Ihr überaus glück liches Eingreifen wer weiß was hätte passieren können …«
    Während Mr Blake seine Entschuldigungen daherbrabbelte, wurde er rasch den Gang entlanggetrieben, der in den Wintergarten führte. Noch bevor ihm auch nur ein Vorwand einfiel umzukehren, hatten sich die Türen zum Treibhaus leise hinter ihm geschlossen, und er watete, wie ein Tiefseetaucher, durch die vertraute bleierne Atmosphäre. Er unternahm einen schwachen Versuch, sich aus Tante Pendletons Griff zu befreien, doch sie hatte den Arm durch den seinen geschlungen, wie sich eine Kletterpflanze um einen Ast windet. Er überließ sich seinem Schicksal, während der Schmerz in seinem Kopf wie eine Trommel im Rhythmus der Heißwasserrohre unter seinen Füßen pochte. Wie im Traum hörte er Tante Pendletons Stimme beschreiben, wie sie einmal ihren Gatten, der im Allgemeinen so ein ruhiger und enthaltsamer Knabe gewesen sei, sturzbetrunken im Büro des Kirchendieners vorgefunden hatte, wie ein Ertrunkener auf einer Unmenge Hymnenblätter gestrandet. Es hatte sich herausgestellt, dass Mr Pendleton eine Spielernatur gewesen war (ein Laster, von dem seine junge Frau nichts gewusst hatte) und schließlich hatte Farbe bekennen müssen, als es Flying Billy unerwarteterweise nicht geschafft hatte, auf der Rowley Mile in Newmarket durchs Ziel zu gehen. Damit ging der Verlust der gesamten Gelder des Temperenzvereines einher – eine Einrichtung, deren überaus angesehener Schatzmeister und Sprecher er gewesen war.
    »Was für ein grässlicher Kerl er gewesen ist«, sagte Tante Pendleton und drückte den Arm des Fotografen wohlwollend. »Wie sich herausstellte, führte er ein Doppelleben. Nichts im Vergleich mit Ihnen natürlich.« Sie zwinkerte und entblößte nicht mehr ganz junge Zähne.
    Und dann teilten sich auf einmal die Wedel des Grüns, und sie traten in den Dschungelsalon der Tanten.
    »Alice!«, rief Tante Pendleton. »Ich habe Mr Blake für dich gefunden.«
    Alice saß an einem Schreibpult, das Mr Blake bisher nicht aufgefallen war. Es schien sich in einem Bambusdickicht zu befinden. Sie blickte von ihrem Brief auf. »Tee, Mr Blake?«
    »Ja, bitte«, sagte er mit belegter Stimme.
    Im nächsten Augenblick saß er auf einem modrigen Sofa. Die Ranken einer kleinen, glänzenden Kletterpflanze hatten sich in der vorderen Ecke angesiedelt und sahen aus wie eine gierige Hand mit spindeldürren Fingern. Der Fotograf ließ sich in die warmen, leicht feuchten Kissen sinken, die Teetasse auf dem Unterteller in seinen beinahe zitternden Händen balancierend. Wenn er dort lange genug still und ruhig säße, würde das umgebende Grün vielleicht auch von ihm Besitz ergreifen. Und würde es irgendjemandem etwas ausmachen?
    »Welch Erleichterung zu hören, dass Doktor Cattermole nicht länger bei uns weilt«, stellte Tante Statham mit Behagen fest. »Dieser Mann bringt Talbots absolut schlechteste Seiten ans Licht. Er entwickelt solch ein Konkurrenzdenken.« Sie bedachte Alice mit einem gütigen Blick. »Mach dir keine Sorgen, meine Liebe. Du weißt doch, dass Cattermoles Unsinn deinen Vater schon früher verwirrt hat. Spätestens nächste Woche wird er das Ganze völlig vergessen haben.«
    Alice nickte und setzte ein düsteres, wenig überzeugtes Lächeln auf.
    »Oh, Mr Blake, haben Sie mitbekommen, wie Edwin sagte, dass Mrs Cattermole ein Kind erwartet?«, fragte Mrs Talbot die Ältere, die die Hand ausstreckte, um dem Fotografen einen Teller mit Keksen anzubieten.
    »Tja«, sagte Tante Pendleton, »sie wird ihr Korsett nicht länger so eng schnüren können, wenn das der Fall ist. Mr Blake, wie nachlässig von Ihnen. Hier, nehmen Sie eine Serviette.«
    Mr Blake warf einen Blick in Alices Richtung. Sie starrte in den Dschungel irgendwo über seinem Kopf.
    »In der Tat«, sagte Tante Statham. »Andererseits sind Frauen natürlich zum Kinderkriegen da, oder etwa nicht? Jedenfalls in Dr. Cattermoles Welt.« Sie lachte. »Eine jede von uns hat in der Hinsicht versagt. Ich frage mich, wie er das sähe? Vielleicht sollte er uns alle ausstellen.«
    »Niemand wird ausgestellt werden«, rief Tante Lambert. »Und ganz besonders nicht Alice.«
     
    Alice pirschte durch die schwach erleuchteten Flure des Großen Hauses, während Mr Blake hinter ihr hereilte. Er wäre neben ihr hergegangen,

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