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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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und verschwand mit einem Nicken zu seinen geheimnisvollen Aktivitäten in den dunklen und überfüllten Gängen. Mr Talbot schien das Ganze für gelungen zu halten. Er hoffte, der Gesellschaft in der kommenden Woche vom Erfolg der Aktion berichten zu können. Mr Blake war der Meinung, einen Nachmittag vergeudet zu haben. Mr Talbot versuchte, ihn weiter aufzuhalten, indem er eine seiner Neuerrungenschaften hervorholte, um sie zu diskutieren und Experimente damit anzustellen – ein extrem langes und unhandliches Fernglas aus Messing und Elfenbein. Doch Mr Blake ertrug die Gesellschaft seines Arbeitgebers nicht länger. Er gab vor, unpässlich zu sein, und zog sich ohne zu Abend zu essen auf sein Zimmer zurück.
    Er riss die Vorhänge in seinem Schlafzimmer auf und presste die Stirn gegen die kalte Fensterscheibe. Er spähte in den schwarzen Abgrund davor. Vielleicht sollte er draußen spazieren gehen. Die Nachtluft würde ihm einen klaren Kopf bescheren, und er hatte das Haus nicht verlassen, seitdem er Alice aus Mr Bellows’ Flugmaschine gerettet hatte. Er zog das Fenster auf. So viel hatte sich ereignet seit jener Stunde auf dem Dach, dass er kaum glauben konnte, dass seitdem nur ein Tag verstrichen war. Es schien eine Ewigkeit gewesen zu sein. Er blinzelte, denn in der kalten Luft brannten ihm die Augen. Im Flügel gegenüber war immer noch das Fenster von Mr Talbots Arbeitszimmer erleuchtet. Abgesehen von dieser einzelnen pulsierenden Lebenszelle wirkte das Große Haus verlassen, das Gebäude in beinahe undurchdringliche Dunkelheit gehüllt. Mr Blake erzitterte und warf das Fenster zu. Es war viel zu spät, viel zu kalt und dunkel, um draußen spazieren zu gehen.
    Er warf sich aufs Bett und starrte im Liegen zu den Spinnweben empor, die den Deckenstuck über ihm wie Girlanden zierten. Unwillkürlich dachte er an Alice, wie sie ihm rasch in Mr Bellows’ Flugmaschine davon geglitten war. Alice und ihr unerwarteter Heiratsantrag. Alice und ihr Gesichtsausdruck, als ihr Vater am Nachmittag ihr die Tür seines Arbeitszimmers vor der Nase zugeschlagen hatte. Er dachte an Mrs Cattermole und ihr ungeborenes Kind, an Sluces mnemonischen Mantel, an die Fotografien, die er mit Dr. Cattermole geschossen hatte und die sich noch immer in Alices Besitz befanden. Er dachte an die Ätherflasche, von der er wusste, dass sie sich unten in seinem Dunkelzelt befand, wenn er sich entschloss, sich auf die Suche nach ihr zu begeben. Er presste sich die Hände über die Augen. Die Gedanken schwirrten ihm im Kopf umher, als gäbe es keinen einzigen, an dem er sich lange genug festhalten könne, um sich einen Reim darauf zu machen. Er hatte keine Ahnung, was am besten zu tun sei. Zweifellos, folgerte er düster, würde er nichts tun, wie gewöhnlich.
    Ein behutsames Klopfen an der Tür riss ihn aus seiner Benommenheit. Wenigstens war es nicht das knöchelaufreibende Klopfen seines Arbeitgebers. Vielleicht war es Tante Pendleton mit einer Tasse Tee. Sie versorgte ihn beflissen mit Erfrischungen. Der Fotograf öffnete die Tür.
    »Darf ich eintreten?«, flüsterte Alice. Sie hielt ihre Kerze empor und sah rasch nach links und rechts, den Gang hinauf und hinab.
    Er schloss die Tür hinter ihr. Ihre Haare waren offen, wie er feststellte. Im Kerzenschein sahen sie so drahtig wie Jutefasern aus, doch sie leuchteten in Rot- und Goldtönen, die ihm bisher noch nicht aufgefallen waren.
    »Was, in aller Welt, haben Sie da an?«, entfuhr es ihm, bevor ihm eine passendere Bemerkung einfiel.
    »Einen Umhang«, erwiderte sie. Sie hielt den Kragen eng am Hals geschlossen, als fürchte sie, der Fotograf könne versuchen, ihn ihr vom Leib zu reißen.
    »Sind Sie spazieren gewesen? Ich habe selbst mit dem Gedanken gespielt, eine Runde durch die Parkanlagen zu machen …«
    »Mr Blake«, unterbrach Alice, »wenn ich mich erkühnen dürfte, Ihnen eine Frage zu stellen …«
    »Selbstverständlich«, sagte Mr Blake. »Auch wenn ich mir vorstellen könnte, dass meine Antworten in diesem höchst sonderbaren Haushalt kaum ins Gewicht fallen dürften.«
    »Indem Sie meine Frage beantworten, werden Sie vielleicht auch Ihre eigene Neugier stillen können.«
    Er sagte nichts.
    Alice hielt ihren Umhang fester umklammert. Ihm fiel auf, dass ihre Augen weit aufgerissen waren und ihr Gesicht blass im Kerzenschein. »Mr Blake«, sagte sie atemlos. »Ich weiß, in welche Bücher ich blicken könnte, um mich zu beruhigen, aber es bestünden immer Zweifel, zumindest was

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