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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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ebensowenig, aber Tante Ravelston schickt mich dauernd auf Ausritte oder zum Tee zu Fanny Birchwoode. Und ich bin wegen der Hitze mit diesen schrecklich juckenden Pickeln übersät.« Sie senkte die Stimme. »Mein Korsett reibt sie ganz furchtbar wund. Meinen Sie, jemand nähme Anstoß daran, wenn ich zu Hause einen Sari trüge, so wie Sie, Mrs Fraser?«
    »Sie könnten es ausprobieren«, sagte Lilian.
    »Mein Bruder sagt, wir Damen sollten es alle ausprobieren«, sagte Miss Forbes. »Aber er findet auch, dass wir Hindi sprechen sollten, oder ist es Urdu? Ich kann es mir einfach nicht merken. Ich habe es versucht, aber ich bin nicht sonderlich gut. Außerdem sagte Mrs Birchwoode, man brauche im Grunde nur ein paar grundlegende Befehle und ein paar Wörter, um sicherzugehen, dass der sircar weiß, was er tut.«
    Miss Bell kratzte an einem Moskitostich, der sich wie ein Kastenzeichen von ihrer Stirn abhob. »Wir haben eine Bisamrattenplage unter dem Haus. Bisamratten! Können Sie sich etwas Grässlicheres vorstellen?«
    »Das kommt häufig vor«, sagte Lilian.
    Miss Bell verzog ihre Rosenknospenlippen zu einem Schmollmund – ein Gesichtsausdruck, von dem Lilian annahm, dass er ihr binnen weniger Jahre an einem Ort wie Kushpur zur Gewohnheit werden würde. »Ich habe noch nie eine Bisamratte gesehen, aber ich gehe davon aus, dass sie ziemlich groß sind. Mein Onkel, Mr Ravelston, ist gestern Nacht in mein Zimmer gekommen und hat gesagt, er sei auf der Suche nach einem dieser schrecklichen Geschöpfe, denn er habe Grund zu der Annahme, dass eines davon tatsächlich ins Haus gelangt sei. Er hat gesagt, es könne sich möglicherweise sogar in meinem Bett verstecken, und er hat die Decke hochgehoben, unter der ich lag.«
    Sie sah Miss Forbes an, doch die Schwester des Captains bewunderte verstohlen ihr eigenes Spiegelbild in der Oberfläche von Lilians Teekanne.
    »Wie sehr ich wünschte, ich könnte nach Hause fahren«, flüsterte Miss Bell, auf einmal weinerlich. »Wünschen Sie sich so etwas denn niemals, Mrs Fraser? Insbesondere jetzt, da Mr Fraser … ich meine, Sie können doch gewiss nicht wirklich ohne ihn in Kushpur bleiben wollen ?«
    »Mrs Fraser gefällt es hier«, sagte Miss Forbes.
    »Tatsächlich?« Miss Bell sah Lilian an, die blauen Augen rund vor Unglauben.
    »Ja«, sagte Lilian.
    »Aber wie ist das möglich ?«
    »Ich habe die Heimat als grausamen Ort in Erinnerung. Ein Ort voll Tyrannei, voller selbstsüchtiger Männer«, sagte Lilian bitter. »Vielleicht möchte ich Kushpur verlassen, aber ich hege nicht den Wunsch, Indien zu verlassen, und keinerlei Verlangen, in die Heimat zurückzukehren.« Doch noch während Lilian das sagte, wusste sie, dass es nicht stimmte. Es gab eine Erinnerung an zu Hause, die ganz anders war als jene dunklen und schmerzerfüllten Gedanken, eine Erinnerung, die so grell wie ein Komet in ihren Gedanken loderte. »Ich vermisse die Heimat kein bisschen«, sagte sie. »Aber ich vermisse meine Schwester schrecklich. Sie ist mir teurer als jeder Mann, jeder Ehemann, es je sein könnte. Ich würde nur in die Heimat fahren, um Alice zu holen.«
    »Schreibt sie?«, erkundigte sich Miss Forbes. »Briefe können zumindest ein wenig Trost spenden.«
    »Nein«, sagte Lilian. »Sie … ist verhindert. Aber ich schreibe ihr. Ich schreibe ihr jeden Tag einen Brief, auch wenn ich mir vorstellen könnte, dass sie keinen davon erhält.«
    »Ich habe keine Schwestern«, mischte sich Miss Bell ein, als habe Lilian lange genug das Wort erhalten. »Ja, gar keine Familie, abgesehen von Mr und Mrs Ravelston. Mrs Ravelston ist die angeheiratete Cousine zweiten Grades meiner Mutter. Ich habe wohl niemanden, zu dem ich in der Heimat zurückkehren könnte, selbst wenn es mir gelänge, dorthin zu kommen.«
    »Sie müssen einen Mann finden«, sagte Miss Forbes energisch.
    »Dann wären Sie fort von Onkel Ravelston und seinem Decken-Gelüfte«, sagte Lilian.
    Miss Bell blickte verwirrt drein.
    »Wie wäre es mit Mr Vine?«, fuhr Miss Forbes geschäftsmäßig fort. »Er ist eine gute Partie.«
    »Oh.«
    »Oder Dr. Mossly. Oder was ist mit Captain Lewis? Er ist ein recht ansehnlicher Knabe. Mein Bruder hält viel von ihm.«
    »Ich habe in der Tat etwas für einen Mann von soldatischer Haltung übrig«, sagte Miss Bell. »Aber soviel ich weiß, hat Mrs Birchwoode Captain Lewis für Fanny auserkoren. Was Dr. Mossly betrifft, so glaube ich, dass er es auf eine andere abgesehen hat.« Sie lächelte Lilian

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