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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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der sircar, den sie kurz nach Selwyns Tod angestellt hatte – ein großer Bursche mit einem klugen Lächeln, der seinen Aufgaben als Hausverwalter mit geräuschvoller Tüchtigkeit nachkam –, früher einmal für den geheimnisvoll abwesenden Mr Gilmour gearbeitet hatte. Der sircar hieß Harshad, und als Lilian sich erst einmal bei ihm entschuldigt hatte, weil sie sich mit ihren Befehlen irrtümlicherweise an den Träger ihres verstorbenen Gemahls (einen Mann von niedriger Kaste, wie man sie unterrichtete), anstatt an Harshad selbst gewandt hatte (er hatte ungeduldig auf das weiße Kastenzeichen auf seiner Stirn gedeutet und mit einem verzweifelten Zucken seiner Kleider auf den heiligen Faden um seinen Hals verwiesen), kamen sie in der Tat sehr gut miteinander aus.
    Harshad schien Lilians Interesse an indischer Kultur nicht zu überraschen. Er kaufte mit Vergnügen den besten Tabak für ihre hookah. Er empfahl ihr gern einen dharzi, der ihr ihre cholis, das eng anliegende Mieder, das sie unter ihrem Sari trug, und so viele Unterröcke, wie ihr Herz begehrte, anfertigen würde. Ohne zu zögern hatte er ihr seine Schwägerin als ayah vorgeschlagen (eine Dame mit unendlicher Geduld, wenn es darum ging, die Kniffe beim Anziehen des fertigen Saris zu erklären), und hatte die vorhandene ayah (der er Unehrlichkeit zu Lasten legte) hinausgeworfen, bevor Lilian auch nur ein Einwand eingefallen wäre. Harshad erläuterte die Einzelheiten des Kastensystems (das sie, wie er fürchtete, nicht recht verstanden hatte) – wobei er sie insbesondere vor denjenigen muslimischen Dienstboten warnte, die sich weigerten, gewisse Aufgaben auszuführen, indem sie vorgaben, den Verlust ihrer Kaste zu fürchten. Dabei handelte es sich lediglich um eine List, wie er sie in angewidertem Tonfall unterrichtete, da Muslime ohnehin keine Vorstellung vom Kastenwesen hätten und nur so täten, um besonders anstrengenden häuslichen Pflichten auszuweichen. Harshad offenbarte ihr außerdem die Geheimnisse des dasturi, jener unergründlichen Summe, die über den Lohn der Dienstboten hinaus entrichtet werden musste für praktisch alles, was in Lilians Namen von den boxwallahs erstanden wurde.
    » Dasturi eine sehr verfluchte Steuer, memsahib «, sagte Harshad geduldig. »Von zwei bis vier Pice pro Rupie. Ein Anna, oder ein Sechzehntel der Rupie, ist korrekt. Außer Harshad selbst kaufen verflixten Artikel. Aber anderen Dienstboten – darwan, bawarchi, selbst khansamah –, denen kann man verflucht noch mal nicht trauen. Für eine memsahib kann es schwer sein, schrecklich, schrecklich schwer, ehrliche Dienstboten zu finden, zur Hölle mit ihnen.«
    Lilian lächelte. »Wo hast du Englisch gelernt?«, fragte sie.
    »Mr Gilmour, ein sehr gesprächiger sahib. Er versucht, Hindi zu lernen, aber hat auch Harshad Englisch beigebracht. Jetzt spreche ich als einziger Dienstbote das Hochenglisch, wie die Königin. Mr Gilmour, so ein Bastard-Gentleman sahib, hat Harshad gut unterrichtet – all seine liebsten, seine verfluchtesten englischen Wörter.« Harshad lachte herzlich bei dem Gedanken an seinen früheren Arbeitgeber. »Mr Gilmour sahib ein glücklicher, glücklicher Mann. Besonders er hat zugesprochen dem Gin und der hookah. Und dann hat er Harshad besonders gern unterrichtet. Ach ja! Oft er hat gelacht und gelacht, wenn Harshad diese überaus verflixten englischen Wörter gesagt hat, zur Hölle mit dem verfluchten Bastard. Aber jetzt …«, er schüttelte traurig den Kopf, »… jetzt ist Mr Gilmour krank. Eine verdammt traurige Zeit für Harshad.« Allmählich löste ein Lächeln die schmerzliche Miene ab, die Harshad aufgesetzt hatte, um seine kummervolle Offenbarung zu unterstreichen. »Trotzdem«, sagte er. » Memsahib Fraser ist jetzt an seiner Stelle. Ein verdammt glückliches Ereignis.«
    »In der Tat«, sagte Lilian, die erleichtert war, Harshad nicht zu Lebzeiten ihres Ehemannes eingestellt zu haben. »Verdammt glücklich.«
    Lilians Hindi war bereits gut, doch sie war entschlossen, es zu perfektionieren. Mit Harshad und jedem anderen Dienstboten sprach sie immer in deren Muttersprache und bestand darauf, von ihnen verbessert zu werden, wenn sie Fehler machte. Gelegentlich antwortete Harshad ihr in einem Englisch voller Kraftausdrücken, ein mattes, wehmütiges Lächeln auf den Lippen, als gedenke er gerade der fröhlichen lästerlichen Stunden, die er unter der Anweisung des betrunkenen Mr Gilmour zugebracht hatte. Lilian gab sich jegliche

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