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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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Hochzeit. In England. Damals war es in gewissen Kreisen allgemein bekannt.«
    »Er hat sie verführt?«
    »O ja. Obgleich sie sich nicht lange hat bitten lassen, soviel ich weiß.«
    »Und er ist davongelaufen?«
    »Er hatte sein Vergnügen gehabt. Was hat er sonst noch von ihr gebraucht?«
    Miss Bell und Miss Forbes wechselten einen Blick.
    »Und wo befindet sich die Dame jetzt? Was ist mit ihr geschehen?«, sagte Miss Bell.
    »Ihr Baby ist gestorben, und …«
    »Es hat ein Baby gegeben?«
    »Ich glaube schon.«
    »Der Schurke«, hauchte Miss Forbes.
    »Und die Dame?«, meinte Miss Bell beharrlich. »Was ist mit der Dame?«
    »Ihr Schicksal ist ungewiss.«
    »Die arme Seele. Vielleicht ist sie ins Wasser gegangen.«
    »Oh, das möchte ich bezweifeln«, sagte Lilian.

3
    Mr Vine arrangierte eine Landpartie zur Besichtigung der botanischen Gärten in Khinsamaghar. Der Friedensrichter hatte sich von Mr Hunter zusichern lassen, dass allerlei herrliche Aprilblumen zu sehen wären, und da die Hitze bei Tag noch nicht unerträglich war, versprach es, ein angenehmer Ausflug zu werden. Mr Hunter (dessen Miene sich aus Ärger verfinstert hatte, weil er die Ausfahrt nicht selbst vorgeschlagen hatte) war klar, dass es dem Friedensrichter bei dieser Expedition hauptsächlich um Lilians Freude ging. Ja, ursprünglich hatte Mr Vine vorgehabt, lediglich Lilian mitzunehmen, da er dieses eine Mal mit Lilians unausgesprochener Meinung übereingestimmt hatte, dass die Gesellschaft der anderen Europäer sowohl lästig als auch langweilig wäre. Doch bei dieser Gelegenheit stimmte Lilian der sonstigen Sichtweise des Friedensrichters zu, dass die Begleitung ebendieser Europäer sowohl wünschenswert als auch nützlich wäre: Sie würde nicht allein mit ihm sein müssen.
    Auf dem Weg zu den Badestufen neben der Kaserne konnte der Friedensrichter eine gewisse Wut beim Anblick der breiten Rücken und üppigen Hinterteile von Mrs Birchwoode, Mrs Toomey und Mrs Ravelston nicht unterdrücken. Mr Hunter war nicht eingeladen worden, hatte sich aber trotzdem eingefunden.
    Und dann trat Mrs Birchwoode beiseite, und Mr Vine erblickte Lilian. Er blieb wie angewurzelt stehen, die Finger in seiner Tasche, um seine Uhr hervorzuziehen, den Mund halb zu einer Begrüßung geöffnet. Sein Gesicht verfärbte sich von seinem gewohnten Gelbton zu einem satten Terrakotta.
     
    Lilian spürte die heiße Brise, die durch das weiche Gewebe ihres neuen Saris wehte. Harshad hatte den transparenten, grüngelben Stoff von einem boxwallah gekauft. Er war von einem goldenen, gazehaften Stoff gesäumt, und der dharzi hatte ihr ein dazu passendes goldenes choli angefertigt, das sie darunter trug. Sie hatte sich einen kurkumagelben Unterrock erbeten sowie einen langen pallav, den sie sich zum Schutz vor Sonne und gegen die Fliegen über den Kopf zog. Ihre ayah hatte ihr beim Ankleiden geholfen und die sechs Yard schimmernden Stoffes fachkundig gefaltet und drapiert, indem sie ihn in diese und jene Richtung zog, bis er perfekt saß. Wie einfach und elegant ein Sari aussah, wenn er erst einmal angezogen war, dachte Lilian, während sie sich in ihrem Schlafzimmerspiegel bewunderte. Und doch kam es ihr beinahe unmöglich vor, sich selbst einen solchen anzuziehen, ohne auszusehen, als habe sie sich in der Warenauslage einer Schneiderei verheddert. Vielleicht würde sie es nie lernen.
    Als Lilian den Bungalow verließ, hatte Harshad seinen Beifall geäußert, indem er sich tief verbeugte und etwas vor sich hin murmelte, das wie »verdammt schön, memsahib « klang, während er ihr in den Palankin half, der sie zum Fluss bringen sollte.
    Mr Vine hingegen war anderer Meinung. »Mrs Fraser«, stammelte er. »Sind Sie … was ich sagen wollte, Sie haben doch wohl nicht vor … das heißt, wie können Sie nur glauben, dass diese Kleidung angemessen ist?«
    »Ganz meine Worte, Mr Vine«, sagte Mrs Birchwoode mit gedämpfter Stimme. »Doch was lässt sich schon machen, außer wir lassen den Ausflug sein, doch es sind so viele Vorbereitungen getroffen worden. Oder wir schicken sie nach Hause, wir können sie jedoch nicht zwingen zu gehen?«
    »Oh, lassen Sie sie in Frieden«, sagte Captain Forbes. »Sie sieht sehr authentisch aus.«
    »Ja«, sagte Mr Hunter, der Captain Forbes mit einem verärgerten Blick bedachte. »Mrs Fraser sieht ganz reizend aus. Wenn Sie mich fragen, ist es äußerst vernünftig. Ich sehe nicht ein, weshalb die Damen nicht alle so verfahren. Sie müssen alle

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