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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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musste bemerkt haben, wie er sie am Bahnhof beobachtete, und sie für einen geheimen Kontakt gehalten haben. Vielleicht hatte die Agentur sie angeheuert, um sie an sich zu binden, und hatte ihn befördert, um ihn noch mehr an sich zu binden.
    Unwin ging auf sie zu, weil er das Gefühl hatte, er müsse ihr alles erklären, müsse sie für all die Umstände um Verzeihung bitten. Und ihr versichern, alles würde wieder gut werden, sobald er Sivart gefunden hatte. Er blieb neben ihrstehen und nahm seinen Hut ab. «Warten Sie auf jemanden?», erkundigte er sich.
    Sie schien ein Ohr zu spitzen, obwohl sie ihn nicht anschaute. «Jemanden», antwortete sie.
    «Natürlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie allein hier sind.»
    «Sind», kam das Echo von ihr.
    Unwin sah auf die Uhr. Es war fast zwei Uhr nachts. An einem normalen Tag wäre er in wenigen Stunden am Bahnhof. Sie wäre auch dort, und er würde sie beobachten und nichts sagen.
    «Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich Sie zum ersten Mal gesehen habe», sagte er zu ihr. «Ich bin aufgestanden und habe gebadet, habe Hafergrütze mit Rosinen gegessen. Ich habe die Schuhe erst auf dem Flur angezogen, weil sie quietschen, wenn ich sie zu Hause trage, und das die Nachbarn stört. Ich kann es ihnen wirklich nicht verübeln.»
    Es war nicht zu erkennen, ob sie verstand, was er sagte, aber sie schien es zu hören. Deshalb setzte er sich zu ihr und legte den Schirm auf seinen Schoß. «Ich fahre mit dem Fahrrad zur Arbeit», sagte er. «Ich hab eine Technik entwickelt, wie man mit geöffnetem Schirm radeln kann. Das Wetter … nun, Sie wissen ja, wie es ist. Manchmal glaube ich, es hört nie mehr auf. Der Regen wird die Bucht anschwellen lassen, und eines Tages ist die Stadt weg, einfach so. Das Meer wird sie sich holen.»
    Er blickte sich um; niemand hörte ihm zu. Er war der Einzige, der wach war, doch ebenso gut hätte er auch allein sein und vor sich hin träumen können. Auf einmal wollte er ihr alles erzählen.
    «An jenem Morgen», sagte er, «an jenem Morgen, als ichSie zum ersten Mal gesehen habe. Da war etwas anders. Niemand war auf der Straße. Zuerst begriff ich nicht, warum. Dann fiel mir ein, dass ich meinen Wecker nicht ausgestellt hatte. Das war nicht nötig gewesen. Ich war ein paar Stunden vor der Zeit aufgewacht, auf die er gestellt war, Stunden, bevor ich eigentlich aufstehen sollte. Der Tag hatte noch nicht begonnen, und da war ich und wollte zur Arbeit gehen.
    Ich wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Bis ich herausgefunden hatte, was los war, befand ich mich schon auf halbem Wege zur Arbeit. Ich stand vor dem Central Terminal. Ich hatte noch nie mit dem Zug irgendwohin fahren müssen, weil ich mein ganzes Leben hier in der Stadt verbracht habe. Aber plötzlich wusste ich, dass ich nie wieder zur Arbeit gehen konnte. Ich weiß wirklich nicht, warum.»
    «Warum», sagte die Frau im karierten Mantel.
    «Nun, weil Enoch Hoffmann fort war», sagte Unwin. «Die Rook-Brüder, Cleopatra Greenwood, sie waren alle weg. Sivarts Berichte waren … nur Berichte. Ich spürte, dass ihm die Arbeit nichts mehr bedeutete. Was hatte das alles für einen Sinn?»
    «Sinn.»
    «Genau. Ich komme gleich dazu. Ich ging in den Bahnhof. Ich kaufte mir einen Becher Kaffee und trank das meiste davon. Er schmeckte scheußlich. Am Informationsschalter holte ich mir einen Fahrplan und kaufte mir sogar eine Fahrkarte. Ich würde aufs Land fahren und nie mehr zurückkehren. Sivart hatte sich so ein Häuschen im Wald ausgemalt – warum sollte ich nicht auch eins haben? Mittlerweile war es sechsundzwanzig Minuten nach sieben. In dem Moment sah ich Sie. Sie kamen durch die Drehtür am östlichen Ende des Bahnhofs, und Sie gingen zu Gleis vierzehn und warteten. Ich habe Sie beobachtet. Ich tat so, als würde ich meinenFahrplan studieren, aber ich konnte nicht anders, als Sie zu beobachten. Und als der Zug kam und niemand für sie ausstieg, und Sie sich umdrehten und in die Stadt zurückkehrten, da wusste ich – so sicher, wie ich einen Moment zuvor gewusst hatte, dass ich nie wieder zur Arbeit zurückkehren würde –, dass ich
doch
wieder zur Arbeit gehen würde, dass ich die Stadt nicht verlassen konnte. Nicht solange Sie noch dort waren, ganz allein, um zu warten.»
    «Warten», sagte die Frau im karierten Mantel.
    «Das werde ich», sagte Unwin. «Ich habe ein Fahrrad, das ich jeden Tag putze und öle, und ich habe einen Hut, von dem ich mich nie trenne. Mein Schirm

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