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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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und sie tranken. Miss Greenwood lachte und ließ überall langstielige Rosen fallen. Dann fingen der Mann im Smoking und der im Doppelreiher an, sich darüber zu streiten, wer von ihnen beiden Miss Greenwood mehr Blumen geschenkt hatte. Nachdem ein paar müde Fäuste geflogen waren, warf sie die beiden hinaus.
    «Ich bin dabei, das alles zu vergessen», sagte sie zu Unwin. «Er benutzt mich, benutzt meine Stimme, lässt mich aber immer im Dunkeln. Sie werden also für uns beide alles im Gedächtnis behalten müssen. Deshalb habe ich Sie angeheuert. Damit Sie sich erinnern.»
    Unwin verabschiedete sich. Draußen war es kalt, und es war ein langer Marsch. Er hätte nicht sagen können, ob er wach war oder schlief – die Gebäude warfen falsche Schatten, und die Straßen hatten Kurven, wo sonst keine waren. Die Kälte war jedoch real genug. Seine Hand krallte sich wieeine Eiskugel um seinen Schirmgriff. Dann endlich stand er vor der schmalen grünen Tür seines Mietshauses und stieg die Treppe hoch.
    Eine Spur aus roten und orangegelben Blättern zog sich von der Tür bis zum Bad.
    Detektiv Sivart lag in der Wanne. Das Wasser sah kalt aus und war mit Blättern bedeckt: wie ein dunkler kleiner Teich. «Dieser Kanal bleibt uns jetzt verschlossen, Charlie. Jene Frau, ich hab mich in ihr getäuscht. Sie hat mir das Herz gebrochen. Schauen Sie.» Er fischte ein zerrissenes Blatt aus dem Wasser und klatschte es sich auf die Brust. Es blieb hängen.
    Als Unwin aufwachte, lag er immer noch angezogen in seinem Bett. Sein Kopf dröhnte, sein Wecker fehlte, und jemand war in der Küche und machte Frühstück.

Es genügt nicht zu sagen, man habe eine Ahnung gehabt. Sind sie erst einmal zu Papier gebracht, so entpuppen sich die meisten dieser Vermutungen als das, was sie sind: etwas, das man in einem Wunschbrunnen ablegen kann, nicht aber in einer Akte.
     
    Der Diebstahl des zwölften Novembers: Wer würde nicht an jenen schwarzen Fleck denken, dort, wo sonst Erinnerung wäre, und dann nicht frösteln, sich verloren fühlen? Er sickert einem in den Verstand wie Tinte in die Rillen an den Fingerspitzen. Wer hätte nicht schon versucht, ihn wegzuschrubben?
    Ich war wie ihr alle
, schrieb Sivart in seinem Bericht.
Getäuscht. Hereingelegt. Aber dann hatte ich an jenem Morgen beim Frühstück so eine Ahnung. Was machte es schon, wenn Ahnungen den Gepflogenheiten der Agentur widersprechen? Ich hatte eine, Schreiber, und ich habe danach gehandelt. Und das zum Glück – für uns alle.
    Niemand beauftragte die Agentur mit der Aufklärung des Verbrechens, weil ja niemand geahnt hatte, dass es begangen worden war. Unwin ging am Montag, dem elften November, schlafen und wachte am Mittwoch, dem dreizehnten November, wieder auf. Er fuhr mit dem Fahrrad diesieben Blocks zur Agentur. Damals war er bereits seit elf Jahren, vier Monaten und einigen Tagen ihr treuer Angestellter, und bis zu diesem Zeitpunkt war es ihm noch nie in den Sinn gekommen, inoffizielle Wege aus inoffiziellen Gründen einzuschlagen.
    Im vierzehnten Stock brachten ihm die Boten keinen neuen Auftrag, weshalb er den Morgen damit verbrachte, dem Bericht zu einem Fall der vergangenen Woche den letzten Schliff zu geben. Ihm fehlte immer noch eine Überschrift. Unwin mochte Überschriften, obwohl sie für das Ablagesystem der Agentur gar nicht nötig waren. Jeder Fall war nummeriert, und nur die Nummern wurden in den offiziellen Protokollen verwendet. Dennoch war das Betiteln eines Falles ein kleines und harmloses Vergnügen, das zudem gelegentlich auch hilfreich war. Hatte ein Schreiberkollege eine Frage zu dem einen oder anderen Fall, so konnte die Verwendung des Titels beiden Zeit sparen.
    Beim Mittagessen dachte Unwin immer noch über die Möglichkeiten nach. Er hatte sich in seiner Aktentasche ein belegtes Brot mitgebracht. Es war Truthahn und Käse auf Roggenbrot, sein Mittwochssandwich. Es gab kaum eine angenehmere Art, den Mittwoch zu verbringen, dachte er, als bei einem schönen Roggen-Truthahn-Käsesandwich über Titel nachzudenken.
    Nichts von diesem Fall war zur Presse durchgesickert, weshalb die Schreiber an den benachbarten Tischen immer dann nach Unwins Unterlagen auf dem Schreibtisch schielten, wenn sie das Gefühl hatten, er passe gerade nicht auf. Allerdings passte er immer auf. Erst wenn eine Akte abgeschlossen – und das bedeutete für Unwin, auch mit einem Titel versehen – war, durften seine Kollegen an ihrem Inhalt teilhaben.
    Während er seinen Lunch zu

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