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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Ende aß, wurde ihm bewusst, wie viel in diesem Stockwerk gerade telefoniert wurde. Die meisten Schreiber saßen über ihre Sprechmuscheln gebeugt und murmelten hinein. In ihren Stimmen lag erkennbar eine Mischung aus Angst und Ungläubigkeit.
    Riefen etwa die Familien und Freunde seiner Kollegen an, um etwas über seinen Fall zu erfahren? Das war noch nie vorgekommen. Unwin zerknüllte seine Sandwichtüte und warf sie in den Papierkorb. Mittlerweile war ihm eingefallen, wie er die Akte nennen würde – «Der Fall mit den sich spiegelnden Spiegeln», nach seinem wichtigsten Indiz –, doch das unhöfliche Betragen seiner Kollegen veranlasste ihn dazu, den Abschluss der Akte um noch mindestens eine Stunde hinauszuzögern.
    Die meisten Telefonate kamen herein, während Unwin seine Papiere sortierte und ein letztes Mal die alten Notizen durchging. Diejenigen, die die Anrufe entgegennahmen, begannen zu diskutieren, wobei sie sich flüsternd über die Gänge beugten. Hätte er noch mitten im Fall gesteckt, hätte Unwin sich furchtbar abgelenkt gefühlt.
    Der Krach erfuhr eine weitere Steigerung, als Lorraine, eine der erst kürzlich eingestellten Schreiberinnen in diesem Stock, ihren Hörer auf die Gabel knallte, den Kopf in den Nacken warf und ein langes, dünnes Heulen ausstieß. Wie zur Antwort fegten auch andere Schreiber ganze Papierstapel von ihren Schreibtischen, rüttelten an den Schubladen, hackten besonders laut auf ihren Schreibmaschinen herum oder gingen ans Fenster, um Luft zu schnappen. Entsetzt und verblüfft zugleich warf sich Unwin schützend über seine Unterlagen.
    Was war geschehen?
    Jetzt ging die Tür des Oberschreibers auf, und Mr. Dudenließ sich zum ersten Mal in dieser Woche leibhaftig blicken. Er lief zwischen den Schreibtischen hindurch bis in die Mitte des Raumes, raufte sich die Haare und rief: «Aufhören!»
    In den Augen des Oberschreibers sah Unwin die gleiche Panik, die auch die anderen ergriffen hatte. Mr. Duden war nicht aus seinem Zimmer gekommen, um sie zu beruhigen; er war gekommen, um sich ihnen anzuschließen. «Hört sofort mit allem auf, was ihr gerade macht!», schrie er. «Alles ist falsch! Heute ist nicht Mittwoch, heute ist Dienstag!»
    Unwin presste seine Unterlagen noch fester an sich. Mr. Duden hatte recht – es
war
Dienstag, nur zwei Tage nachdem Unwin vom Läuten der Kirchenglocken aufgewacht war. Gestern hatte er zum Mittagessen ein Brot mit Gurke und Meerrettich gegessen: sein Montagssandwich.
    Er zählte rasch durch, wie oft er an diesem Morgen seit Arbeitsantritt das Datum geschrieben hatte.
Der dreizehnte November:
Es stand überall, in seinen Aufzeichnungen, seinen Aktennotizen, den Einträgen in mindestens vier Verzeichnissen, im Hauptprotokoll, dem Zusatzprotokoll, den letzten Abschnitten des «Falles mit den sich spiegelnden Spiegeln». In Gedanken versuchte er die Anzahl der Fehler, die allein er begangen hatte, mit der Anzahl der Leute auf dem Stockwerk zu multiplizieren, diese Zahl dann mit der Anzahl der Stockwerke im ganzen Gebäude der Agentur, doch hier versagten seine Rechenkünste. Es würde Wochen dauern, den Schaden wiedergutzumachen, und Spuren dieser Kalamität würden auf unbestimmte Zeit verbleiben.
    Im Laufe des Nachmittags sickerte die Geschichte durch, und die Schreiber standen in kleinen Grüppchen um den einen oder anderen Schreibtisch herum und tauschten kleine Informationshäppchen untereinander aus. Es kamenAnrufe von Leuten außerhalb der Stadt, denen die Diskrepanz aufgefallen war – hier war es Mittwoch, überall sonst Dienstag. Im Hafen herrschte Chaos: Schiffe durften nicht in See stechen oder wurden von verwirrten Zollbeamten abgewiesen, Waren stapelten sich am Kai, weil niemand sie entgegennahm, Schauerleute zankten sich mit Matrosen, Seefunker beschimpften sich auf allen Frequenzen. Der Verkehr auf den wichtigsten Brücken kam zum Erliegen, weil Lieferwagen und Lkws beide Fahrbahnen verstopften und die Fahrer ihre Fahrzeuge stehenließen, um sich inmitten des Tohuwabohus zu verwirrten oder aufgebrachten Grüppchen zu versammeln. Die Empfangstresen von Schönheitssalons, Arbeitsvermittlungen, Arztpraxen und Gerichten konnten sich vor Arbeit nicht retten. In der Schule weinten Kinder über Klassenarbeiten, für die sie nicht gelernt hatten.
    Unwin blieb auf seinem Stuhl sitzen, versuchte nicht auf die Neuigkeiten zu achten und stattdessen eine Liste von Korrekturen aufzustellen, die er würde anbringen müssen. (Bis der Tag zu

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