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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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die Augen zu. Der Dolch rutschte ihm aus der Hand und bohrte sich mit der Spitze in den Verkaufstresen des Kassenhäuschens; sein Kopf schlug hart daneben auf. Der Messerwerfer schlief.
    Miss Greenwood schaute sich um und zog dann das Fenster zu. «Schnell», sagte sie.
    Sie gingen auf Wegen entlang, die mit zerbrochenen Flaschen und Spielsachen, Federn sowie verblassten und unleserlichen Werbeplakaten übersät waren. Die alten Pavillons des Vergnügungsparks waren so gebaut, dass sie wie die Köpfe riesiger Tiere aussahen, die man durch klaffende Mäuler betreten konnte, um die in den Schädeln aufbewahrten Kuriositäten zu bestaunen. Eine Schweineschnauze führte in übel riechende Finsternis, die Glubschaugen eines Fisches dienten als Bullaugen, die Fänge einer Katze standen Spalier wie die Stalaktiten in einer Tropfsteinhöhle.
    Sie gingen daran vorbei und kamen zu einem erhöhten Fußweg aus Holzplanken, die auf schweren Quadern aus Schlackenbeton ruhten. Miss Greenwood ging zuerst hinüber, Unwin folgte ihr.
    «Was haben Sie mit Brock gemacht?»
    «Ich hab ihm gesagt, er soll schlafen», erwiderte sie.
    In einigen seiner Berichte hatte Sivart angedeutet, dass Cleo Greenwood gewisse besondere Fähigkeiten besitze, die sie sich während ihrer Zeit beim fahrenden Volk angeeignet hatte. Unwin war davon ausgegangen, dass mit dem Detektiv die Phantasie durchgegangen war, ja, dass er seine poetische Ader entdeckt hatte (
wirklich
, hatte er einmal geschrieben,
die Dame haut den stärksten Boxer um
), weshalb Unwin solche Einzelheiten herausgestrichen hatte. Vielleicht hatte er damit ja einen Fehler gemacht.
    Sie traten von den Planken und gingen an einer Reihe von Lädchen mit allerlei Tinnef und mehreren Schießbuden vorbei. Gestanzte Blechenten zogen, von echten Kugeln durchsiebt, auf rostigen Schienen vorbei. Der Regen prasselte auf verlassene Popkornkarren und Karussells außer Betrieb, zu denen als Begleitmusik nur trübselige Weisen gepasst hätten. «Ganz anders als der Zirkus, mit dem ich damals gekommen bin», sagte Miss Greenwood.
    Es stimmte: Vor sechzehn Jahren hatte Unwin die bunt geschmückte Kolonne der roten, orangefarbenen und gelben Lastwagen auf dem Weg zum Zirkusgelände durch sein Viertel fahren sehen. Im Westteil der Stadt war am Morgen eine Brücke für den Verkehr gesperrt worden, damit die Elefanten sicher passieren konnten, und die Zeitungen hatten Fotos von den Tieren gezeigt, wie sie sich auf die Hinterbeine stellten. Überall in der Stadt hatten Plakate gehangen, auf denen seltsame und aufregende Vergnügungen angekündigt wurden: Nikolai, der Gedankenleser, die Riesin Hildegard und Isidoro, der «Erinnerungskünstler». Die Hauptattraktion der Show jedoch war der Bauchredner Enoch Hoffmann gewesen.
    Unwin hatte ihn nie auf der Bühne gesehen, doch in jenen Wochen viel von ihm gehört. Der «Mann der Tausendundein Stimmen» war ein eher ungewöhnlicher Magier, denn er hatte Umhang und Zylinder gegen einen schlecht sitzenden grauen Anzug eingetauscht, den er mit aufgerollten Ärmeln trug. Er machte lediglich ein paar beiläufige Bewegungen mit den kleinen Fingern, während er seine Tricks vorführte, und wurde schon bald durch seine eigenen Illusionen an die Wand gespielt, weil der Zauber fast ohne ihn zu wirken schien. Diejenigen, die die Show sahen, beschrieben das Unmögliche – Geister auf der Bühne oder auch Tiere oder unbelebte Objekte, die zu ihnen mit den Stimmen der Menschen sprachen, die sie kannten: Verwandte und Freunde, lebende wie verstorbene. All diese Gespenster wussten Dinge, die niemand sonst wissen konnte, und so mancher stürzte ohnmächtig zu Boden, wenn er ihre Mitteilungen vernahm.
    «Der Trick, den ich bei Brock angewandt habe, kam mir gerade recht, als ich hier gearbeitet habe», sagte Miss Greenwood. «Enoch und ich hatten auch noch unser eigenes Programm nebenher. Hypnose, Wahrsagen – solche Dinge eben. Natürlich hat sich das alles geändert. Wer jetzt noch da ist, hat mit Unterhaltung nichts mehr am Hut.»
    Diejenigen, die jetzt noch bei Caligari waren, die Übrigbliebenen, wurden in verschiedenen Berichten erwähnt, die Unwin im Laufe der Jahre geschrieben hatte. Es war eine Bande von Nichtsnutzen, Sprösslinge einer wahren Dynastie von Taugenichtsen – Betrüger, Gauner und Diebe allesamt. Ohne sie hätte Hoffmann es nie geschafft, die Macht über die Unterwelt der Stadt zu übernehmen. Seit dem Augenblick, in dem Miss Greenwood und er das

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