Handbuch für Detektive - Roman
achtzehn», sagte Unwin.
Als sie den Hafen erreichten, befanden sie sich weit weg vom Pier des Wanderzirkus. Unwin ruderte im Schatten der großen Lastschiffe, und jedes Klatschen der Ruder hallte in der gewaltigen Leere zwischen den riesigen Schiffsrümpfen wider. Es war dunkel, und die Luft roch nach Rost und Salzwasser. In einer kleinen Bucht am Fuße des Leuchtturms,wo sich zwischen den Felsen Unrat und Algen angesammelt hatten, gingen sie an Land. Mit vereinten Kräften zogen sie das Beiboot aus dem Wasser.
Als der Scheinwerfer des Leuchtturms sie streifte, bemerkte Unwin etwas Schimmerndes vorne im Boot. Es war ein Wecker, und er sah ganz genauso aus wie der, der von seinem eigenen Nachttisch verschwunden war. Unwin hielt ihn sich ans Ohr, hörte, dass der Mechanismus immer noch intakt war, und zog ihn auf. Der Wecker passte genau in seine Manteltasche.
Sie gingen zusammen durch die menschenleeren Werften. Hätte es nicht die Ereignisse der vergangenen zwei Tage gegeben, so hätte Unwin nichts von dem, was Moore ihm vom achtzehnten Kapitel geschildert hatte, geglaubt.
Onirische Observation
, hatte Moore ihm zugeflüstert.
Landläufig auch: Traumüberwachung.
Das war es, was Miss Greenwood gemeint haben musste, als sie davon sprach, sie habe die Blicke eines anderen gespürt, der sie wie mit Röntgenaugen durchschaute. Traumspione. Hatte der Aufseher der Agentur das mit ihr getan? Hatte er sie in ihren Schlaf verfolgt, sodass sie niemals zur Ruhe kam? Sie hatte gesagt, sie wolle nicht, dass er von ihrer Tochter erfuhr. Würde es ausreichen, wenn Miss Greenwood von dem Mädchen träumte, um das Geheimnis zu verraten? Unwin fragte sich, ob er selbst jemals wieder unbeschwert würde schlafen können.
Kaum hatte er festen Boden unter den Füßen, schien Edwin Moore ganz neue Energiereserven in sich zu entdecken. Er schritt beschwingt einher, und seine Wangen röteten sich von der Anstrengung. Dabei versuchte er noch immer, ihm zu erklären, wie die Traumüberwachung funktionierte. «Sie haben doch bestimmt schon mal die Geschichtevon dem Mann gehört, der träumte, er sei ein Schmetterling», sagte er. «Und dass er beim Aufwachen nicht mehr sicher war, ob er nun ein alter Mann sei, der nur geträumt hatte, ein Schmetterling zu sein, oder ob er ein Schmetterling war, der geträumt hatte, ein alter Mann zu sein.»
«Würden Sie denn meinen, da ist was Wahres dran?»
«Ich würde sagen, es ist ein Haufen Unsinn», erwiderte Moore barsch. «Aber in Gedanken beschäftigt man sich dennoch damit. Wie oft haben Sie schon versucht, ein bestimmtes Ereignis aus Ihrem Gedächtnis abzurufen – zum Beispiel ein Gespräch mit einem Bekannten –, und mussten dann feststellen, dass diese Erinnerung nur eine Täuschung war, wie sie ein Traum manchmal gebiert? Und wie oft haben Sie etwas geträumt und dann festgestellt, dass der Traum etwas über Ihr eigentliches Leben aussagte? Und dass Sie ein Problem gelöst hatten, das Ihnen am Tag zuvor noch unergründbar schien, oder vielleicht die geheimen Empfindungen eines Menschen erraten hatten, dessen Beweggründe ihnen kurz zuvor noch völlig schleierhaft waren? Wirklich und unwirklich, tatsächlich und eingebildet. Unsere Unfähigkeit, das eine vom anderen zu unterscheiden, oder eher die Bereitschaft zu glauben, sie könnten ein und dasselbe sein, das ist der Punkt, an dem die Mitarbeiter der Agentur mit ihrer Arbeit ansetzen können.»
«Aber was tun die genau?», fragte Unwin. «Legen sie sich neben jemanden, der schläft, ins Bett? Damit sich die Köpfe berühren?»
«Machen Sie sich nicht lächerlich. Sie müssen dem Subjekt gar nicht nahe sein. Sie müssen nur die Frequenz dieser Person isolieren. Das ist eine Arbeit, die ein Wächter bequem von seinem Bürostuhl aus machen kann.» Moore zuckte zusammen und fasste sich vorsichtig an die Beule aufseiner Stirn, die sich mittlerweile lila verfärbt hatte. Er seufzte und fuhr fort: «Sie wissen natürlich, dass man Gehirnströme messen, ja sogar aufzeichnen kann. Es gibt elektrische Wellen, und Apparate, um sie zu lesen, und Leute, die sich mit solchen Dingen beschäftigen. Verschiedene Zustände sind identifiziert, katalogisiert und analysiert worden. Was unsere Leute herausgefunden haben, ist, dass ein Gehirn auf ein anderes eingestellt werden kann, sozusagen wie auf einen Radiosender. Das Ergebnis ist eine Art sensorische Übertragung. Im Grunde gar nicht so anders, als wenn man Radio hört.
Das zumindest ist meine
Weitere Kostenlose Bücher