Handbuch für Detektive - Roman
Metapher dafür. Diejenigen, die die Traumüberwachung praktizieren, beschreiben sie als eine Art von Beschattung, nur dass sie den Verdächtigen durch sein Unterbewusstsein verfolgen und nicht durch die Straßen einer Stadt. Wenn sie hinter einer ganz bestimmten Information her sind, dann können sie den Träumenden sogar auf subtile Weise beeinflussen, ihn dazu bringen, die Beweismittel zu liefern, die sie brauchen.»
Ein paar Blocks vom Friedhof entfernt, verließen sie die Werftgegend, hielten sich jedoch weiter am Wasser. Unwin wollte das «
Letzte Nickerchen
» meiden, weil das Risiko zu groß war, dass jemand sie dort sah und Jasper Rook davon in Kenntnis setzte. Unwin führte seinen Bekannten in Richtung Norden, und Moore schien froh zu sein, seinen Vortrag fortsetzen und ansonsten Unwin folgen zu können, wohin auch immer der seinen Regenschirm lenkte.
«Einige in der Agentur glauben, dass diese Technik schon sehr lange angewandt wird, im Verlauf der Jahrhunderte jedoch verschiedene Namen getragen hat. Man sagt, früher, als die Menschen noch in kleinen Stämmen über die Erde verteilt lebten, sei es leichter gewesen. Damals gab esweniger Signale zu orten und eine größere Bereitschaft, Interferenzen zuzulassen. Die Omen, die Visionen und Prophezeiungen der Schamanen, Hexen und Medizinmänner: Sie alle könnten ihren Ursprung in dem haben, was wir Traumüberwachung nennen.
Aber die Geschichte ist mir eigentlich egal, und heutzutage haben sich die Dinge sowieso verändert. In unserer Stadt herrscht jede Nacht ein gewaltiges Durcheinander aus Gefühlen, Begierden, Ängsten. Nur diejenigen, die gründlich ausgebildet sind, können einen Träumer vom anderen unterscheiden. In der Agentur wird dieses Training im Dienste der Kunden genutzt. Die Wächter, deren Arbeit vom Aufseher persönlich koordiniert wird, erforschen das Unbewusste von Verdächtigen, während die Detektive ihre Hinweise in der konkreteren Welt suchen. Es ist diese Technik, die den führenden Mitarbeitern der Agentur ihre unvergleichlichen Einsichten ermöglicht.»
«Und was, wenn jemand, der nur wenig Übung hat, versucht, diese Technik anzuwenden?»
Moore starrte ihn finster an. «Selbst wenn es ihm gelänge, würde er sich selbst und andere in Gefahr bringen. Es gibt große Reservoirs des Bösen in der schlafenden Stadt, und man sollte sie besser nicht versehentlich anzapfen.» Er hielt inne und fügte dann ruhig hinzu: «Allerdings gibt es einige, die bei dem Prozess behilflich sein können. Die die Konzentration bei anderen herbeiführen können, die nötig ist, um onirische Überwachung anzuwenden – oder ihr leichter unterzogen werden zu können. Es ist ein Talent, das der Unwissende schnell einmal mit Hypnose verwechseln könnte.»
Unwin erinnerte sich daran, was Miss Greenwood an diesem Morgen am Kartenhäuschen des Wanderzirkus mit Brock getan hatte. Sie hatte dem Mann etwas ins Ohr geflüstert,und er war auf der Stelle in eine Art Trance gefallen. «Cleopatra ist eine von diesen Leuten», sagte er.
Moore grummelte. «Die Macht von Greenwoods Stimme konnte bereits bei mehreren Gelegenheiten beobachtet werden. Sivart wusste davon, obwohl er nicht genau wusste, wie es funktionierte. Erinnern Sie sich daran, dass sie auf eine kurze Karriere als Sängerin zurückblicken kann? Als ich die Agentur verließ, experimentierte der Aufseher mit Aufnahmen ihrer Musik, um herauszufinden, ob sie dabei helfen könnten, den Einsatz der Traumüberwachung zu erweitern. Was dabei herausgekommen ist, weiß ich nicht so genau. Aber natürlich kennt auch Hoffmann ihr Talent. Ich halte es auch nicht für Zufall, dass ausgerechnet eines von Cleo Greenwoods Liedern vor fast acht Jahren am Abend des elften Novembers gespielt wurde.»
Natürlich: Unwin hatte es auch gehört. Deshalb hatte er die Melodie ja wiedererkannt, als sie am Abend zuvor im
Ratzekatz
zum Besten gegeben wurde. Die Fragen, die Sivart in seinem Bericht zum «Mann, der den zwölften November stahl» unbeantwortet gelassen hatte, kamen Unwin in den Sinn: dass der Tag in allen Kalendern der Stadt gefehlt hatte, oder dass jene mysteriösen Agenten – die niemals identifiziert oder gefasst worden waren –, in allen Regierungsbüros und Nachrichtenagenturen das Datum geändert hatten. Doch vielleicht waren es auch gar keine Agenten gewesen, zumindest keine, die bei Bewusstsein gewesen waren.
«Könnte Hoffmann uns irgendwie beeinflusst haben?», fragte Unwin. «Könnte er unsere
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