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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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bedenkt, können wir uns nicht einmal gegenseitig trauen. Aber vermutlich ist das auch besser so. So müssen wir immer unseren Verstand einschalten, unserem Instinkt folgen. Wir sind nur zwei Schatten. Wenn jemand das Licht anmacht, ist das unser Ende.»
    Der Fahrstuhlführer hatte aufgehört zu summen, und Unwin musste unwillkürlich wieder an die Statute denken.
    «Emily», sagte er. «Erinnern Sie sich noch an irgendetwas aus dem Traum, den Sie vorhin hatten?»
    Sie trat ein paar Zentimeter zurück und rückte ihre Brille zurecht. «Ich erinnere mich an Vögel, massenhaft Vögel. Tauben, glaube ich. Und einen Windstoß. Offene Fenster. Überall war Papier.»
    Der Fahrstuhlführer räusperte sich. «Neunundzwanzigster Stock», verkündete er.
    Langsam löste sich Emily von Unwin und trat dann auf den gebohnerten Holzboden hinaus. Der Putzmann hatte ihn auf Hochglanz gebracht – keine Spur mehr von der schwarzen Farbe.
    «Emily?», sagte Unwin.
    «Sir?»
    «Versuchen Sie wach zu bleiben.»
    Der Fahrstuhlführer schloss die Tür, und Unwin sagte ihm, er solle ihn zu den Archiven bringen. Den Schreibern und selbst den Detektiven war es ausdrücklich untersagt, sie zu betreten, doch der kleine Mann legte keinen Protest ein. Er legte den Hebel um und setzte sich auf seinen Hocker. «Die Archive», sagte er. «Das Langzeitgedächtnis unserer geschätzten Organisation. Ohne sie sind wir nichts als ein wirrer Haufen von Trivialitäten, Täuschungen und windigen Tricks.»
    Auf seiner Schalttafel leuchtete ein Lämpchen auf, und er brachte den Fahrstuhl zum Stehen. Zu seiner Überraschung blickte Unwin in das geräumige Büro des vierzehnten Stockwerks. Sein Oberschreiber, Mr. Duden, stand vor ihm. Der Mann mit dem runden Gesicht machte einen Schritt rückwärts, als er Unwin erblickte. «Ich nehme den nächsten», sagte er.
     
    Dass nur die Unterschreiber Zugang zu den Archiven der Agentur erhielten, hatte Unwin immer mit einem schwelenden Groll auf diese Rangniedrigeren erfüllt. Manchmal hatte er sich ausgemalt, wie er einen der umgänglichen kleinen Männer auf dem Weg zum Mittagessen abpassen und ihn in ein Bistro in der Nähe begleiten würde. Dort würde er denMann zu einem Sandwich, Gürkchen und einem Getränk seiner Wahl einladen und das Gespräch allmählich auf ihre Arbeit lenken – was natürlich zwischen Angestellten unterschiedlicher Abteilungen verboten war. Irgendwann würde dann der anfängliche Argwohn des Unterschreibers nachlassen und einer Plauderstimmung Platz machen; schließlich war er ebenso stolz auf seine Arbeit wie Unwin auch. Und so würde er alles über die Geheimnisse jenes Ortes erfahren, an den jeden Tag seine eigenen abgeschlossenen Fallakten, ebenso wie die Hunderter anderer Schreiber, gebracht wurden, um bis in alle Ewigkeit dort zu ruhen. Und das alles würde ihn nur ein Roastbeef-Roggen-Sandwich kosten.
    Natürlich hatte Unwin nie dergleichen getan. Er war kein Mensch, der andere täuschte oder ausfragte. Wenigstens bis vor Kurzem hatte er keins von beiden getan.
    Der Fahrstuhlführer hatte ihn auf einem Korridor herausgelassen, der ein Stockwerk unter dem Keller lag. Der Flur endete vor einer kleinen Holztür. Langsam, aber nicht so langsam, als würde er sich als Unbefugter Zutritt verschaffen, öffnete Unwin die Tür und trat ein.
    Im Herzen der Archive (denn was sonst konnte es sein?) roch es nach Kölnischwasser, Staub und nach dem süßlichen Duft alten Papiers, der an welke Blumen erinnerte. An der Decke, die so hoch wie die ausladenden Gewölbe des Central Terminal war, hingen mehrarmige Leuchter mit grünen Lampenschirmen, und die Wände waren komplett mit Einbauschränken für Hängeregistraturen bedeckt. Die Schubladen waren älteren Datums, mit dunklem Holz verkleidet und mit Bronzegriffen versehen. Bibliotheksleitern auf Rollen, jede von ihnen sieben Mal so hoch wie ein Mensch, ermöglichten einem jeglichen Zugang. Acht massiveSäulen gliederten den Raum, und auch sie waren von Aktenschränken umgeben und mit Leitern ausgestattet.
    Dutzende von Unterschreibern waren hier an der Arbeit, stöberten in offenen Schubladen, machten sich Notizen auf Karteikarten, stiegen Leitern auf und ab, rollten sie hin und her. Dabei liefen sie ständig zwischen den Aktenschränken und einem breiten Kabuff in der Mitte des Raumes hin und her. Es herrschte ein reges Kommen und Gehen. Boten mit gelben Hosenträgern traten durch Türen ein, die als Aktenschränke getarnt waren, und

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