Handy-Falle
nichts von Franziskas Wutausbruch mitbekommen hatten.
Franziska wartete darauf, dass Anna irgendetwas zu ihrer Verteidigung vorbrachte. Als das Mädchen weiterhin schwieg, stand sie auf und sagte entschlossen: »Ich hole jetzt Herrn Müller aus der Halle. Vielleicht bist du bei einem Lehrer ja etwas gesprächiger.«
»Bitte nicht!«, sagte Anna leise. »Wenn du Herrn Müller holst, bin ich erledigt.«
Sie stand langsam auf und legte Miriams Jacke weg. Dann ließ sie sich neben Franziska auf die Bank sinken und vergrub das Gesicht in den Händen. Ihre Schultern zuckten, und Franziska war sich ziemlich sicher, dass sie weinte. Sie sah aus wie ein Häufchen Elend. So plötzlich, wie Franziskas Wut gekommen war, war sie jetzt wieder verraucht. Anna tat ihr nur noch leid. Sie wirkte total verzweifelt.
Franziska seufzte und legte sanft den Arm um Annas Schultern. »Na gut«, sagte sie. »Lassen wir Herrn Müller erst mal aus dem Spiel.«
Anna wischte sich mit beiden Händen über ihr tränenverschmiertes Gesicht und flüsterte: »Danke!«
»Kein Problem.« Franziska ließ Anna los und wühlte in ihrer Hosentasche, bis sie ein zerknülltes Taschentuch gefunden hatte. »Ist leider schon benutzt. Aber was soll’s. Besser als nichts, oder?«
Zwischen den Tränen blitzte ein klitzekleines Lächeln auf Annas Gesicht auf. »Stimmt. Vielen Dank.« Sie nahm das Taschentuch und putzte sich ausgiebig die Nase.
Franziska zögerte kurz, dann sagte sie: »Ich kann immer noch nicht glauben, dass du diejenige bist, die das Geld genommen hat.«
Anna drehte das Taschentuch zwischen ihren Fingern und schaute zu Boden. »Ich wollte das eigentlich auch gar nicht«, sagte sie leise und seufzte. Plötzlich sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für ein schlechtes Gewissen ich habe. Ich weiß schließlich auch, dass es total mies ist, seine Mitschüler zu beklauen. Außerdem hatte ich ständig furchtbare Angst, entdeckt zu werden. Nachts konnte ich schon gar nicht mehr schlafen. Andauernd diese Albträume, aus denen ich schweißgebadet aufgewacht bin. Manchmal hab ich geträumt, dass die Polizei bei uns zu Hause klingelt und mich abholt …«
»Ich versteh das einfach nicht«, sagte Franziska. »Warum zum Teufel hast du das nur gemacht?«
Anna sackte in sich zusammen. »Das … das kann ich dir nicht sagen«, murmelte sie.
»Bekommst du zu wenig Taschengeld?«, fragte Franziska. »Das muss dir nicht peinlich sein, du kannst es mir ruhig sagen …«
Aber Anna schüttelte den Kopf. »Quatsch! Deswegen würde ich doch nicht klauen!«
»Oder schuldest du jemandem Geld?«, fragte Franziska weiter. »Vielleicht eine zu hohe Handyrechnung? So was kann einen ganz schön fertig machen …«
Bei dem Wort »Handy« zuckte Anna zusammen. Doch dann schüttelte sie wieder den Kopf. »Nein, das ist es nicht.« Sie schluckte. »Es ist alles viel schlimmer.«
»Dann solltest du erst recht darüber reden«, sagte Franziska. »Wenn du es mir nicht sagen willst, dann erzähl es doch deinen Eltern.«
»Das geht nicht«, sagte Anna und ließ den Kopf hängen. »Meine Mutter dreht durch, wenn sie erfährt, dass ich Geld geklaut habe.«
Das Mädchen starrte auf den Boden und machte einen völlig verzweifelten Eindruck.
Franziska dachte angestrengt nach. »Was ist mit der Vertrauenslehrerin?«, schlug sie schließlich vor. »Die hat doch Schweigepflicht. Wenn du nicht willst, dass deine Eltern von der Sache erfahren, dann erzählt sie ihnen auch nichts.«
»Ehrlich?« Anna sah Franziska unsicher an. »Ich weiß nicht …«
»Denk wenigstens mal drüber nach«, bat Franziska.
Anna nickte zögernd. Plötzlich näherten sich schnelle Schritte, und die Tür zur Sporthalle wurde aufgerissen. Anna und Franziska zuckten zusammen, als Miriam ihren Kopf in die Umkleidekabine steckte.
»Da seid ihr ja!«, sagte sie. »Herr Müller meinte, ich soll mal nachsehen, wo ihr steckt. Was macht ihr denn hier?« Sie warf Anna und Franziska, die immer noch dicht nebeneinander auf der Bank saßen, einen neugierigen Blick zu.
Anna sah Franziska ängstlich an.
»Gar nichts«, sagte Franziska schnell und stand auf. »Anna geht’s nicht so gut. Ihr ist schlecht. Sie war gerade auf dem Klo und hat sich übergeben.«
»Ach so.« Miriam betrachtete teilnahmsvoll Annas kalkweißes Gesicht. »Mann, du siehst wirklich nicht gut aus. Willst du nicht lieber nach Hause gehen?«
Anna schüttelte schnell den Kopf und stand auf.
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