Handyman Jack 04 - Tollwütig
wenn du schon lange so kahl wie eine Billardkugel bist.«
»Wenigstens sehe ich nicht aus wie eine Frau in Männerkleidern.«
Vuk lachte, um zu verbergen, wie sehr er sich über diese Bemerkung ärgerte. Wenn jemand in diesem Wagen eine Frau war, dann Ivo – und zwar eine alte Frau. »Die Ladys lieben die Farbe.«
Ivo gab ein unwilliges Knurren von sich.
Sie hatten sich in der jugoslawischen Armee kennen gelernt und hatten beide während des Balkankrieges an den Säuberungsaktionen im Kosovo teilgenommen. Nachdem die Armee aufgelöst worden war und das Land in Trümmern lag, hatten sie bei Dragovic angeheuert.
Vuk starrte auf die Tür, hinter der die Frau wohnte. Sieh dir nur mal diese Gegend an. Elegante Stadthäuser mit Klinkerfassaden in einer beinahe privaten Straße, die als Sackgasse vor einem kleinen Park mit Blick auf den East River endete. In der Heimat gab es solche Wohnsitze nicht, es sei denn, man gehörte zu den höheren Rängen des herrschenden Regimes. Er versuchte zu schätzen, was es wohl kostete, hier zu wohnen.
»Ich hasse diese Warterei.«
Ivo seufzte. »Es könnte schlimmer sein. Wir könnten immer noch in Belgrad hocken und auf unseren rückständigen Sold warten.«
Vuk lachte erneut. »Oder wir würden in einer Schlange um einen Kanister Benzin anstehen.«
»Denkst du jemals an zu Hause?«, fragte Ivo mit ernster Stimme.
»Nur wenn ich an den Krieg denke.« Und an den dachte er fast jeden Tag.
Was für eine Zeit. Wie viele Frauen hatte er gehabt? Wie viele Männer, viele aus der Kosovo Befreiungsarmee, die meisten harmlose, gesunde, kräftige Zivilisten, hatte er auf einsame Felder geführt oder vor nackten Mauern aufgestellt und erschossen? Zu viele, um sie noch zu zählen. Wie mächtig er sich dabei gefühlt hatte – als Herr über Leben und Tod, umbrandet von Schreien und Weinen und Bitten um Gnade, ein Herr und Meister, von dessen Laune es abhing, wer am Leben blieb und wer sterben musste und auf welche Weise. Er hatte sich gefühlt wie ein Gott.
Vuk vermisste diese Zeit, sehnte sich so sehr dorthin zurück, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb.
»Ich versuche, es möglichst nicht zu tun.«
Vuk sah seinen Gefährten kurz von der Seite an, sagte jedoch nichts. Ivo war schon immer ziemlich weich gewesen, und er wurde von Tag zu Tag weicher. Das war es, was mit einem passierte, wenn man in Amerika lebte. Man verweichlichte.
Und ich werde auch allmählich weich, gab Vuk zu. Ich war mal ein stolzer Soldat. Was bin ich jetzt? Der Leibwächter eines Gangsters – von Geburt ein Serbe, sicher, aber eher Amerikaner als Serbe – und mit einer völlig blödsinnigen Aufgabe betraut. Doch er wusste, dass es ihm weitaus besser ging als anderen Angehörigen seiner Generation, die immer noch in Belgrad lebten.
»Meinst du, diese DiLauro-pizda hat irgendetwas mit gestern Abend zu tun?«, fragte Vuk und brachte das Gespräch widerstrebend von der Vergangenheit auf die Gegenwart.
»Das könnte sein«, sagte Ivo. »Aber selbst wenn es so sein sollte, scheint sie über die Feiertage verreist zu sein wie fast alle anderen in dieser Gegend.«
Alles, was sie in den vielen Stunden ihrer Wache gesehen hatten, waren ein paar Kinder mit ihren Kindermädchen. Vuk hatte sich zweimal in East Hampton gemeldet, um zu berichten, dass nichts passierte, und dabei gehofft, dass man sie zurückrief. Stattdessen hatten sie Instruktionen erhalten, auf jeden Fall an Ort und Stelle zu bleiben.
»Wir vergeuden nur unsere Zeit«, sagte Vuk.
»Du hast uns doch in diese Lage gebracht.«
»Ich? Wie kommst du darauf?«
»Du musstest ja unbedingt den Mann auf dem Videofilm identifizieren.« Er imitierte Vuks Stimme: »›Den kenne ich. Er ist der Typ, den wir vom Strand verscheucht haben.‹ Du weißt niemals, wann es besser für dich ist, den Mund zu halten.«
Vuk hatte sich umgedreht, um sich vehement gegen Ivos Vorwurf zu wehren, als er sah, wie dieser sich in seinem Sitz plötzlich straffte und kerzengerade aufrichtete.
Ein Lieferwagen ohne Aufschrift war in den Sutton Square eingebogen. Er rollte rasselnd und quietschend auf sie zu und lenkte abrupt an den Bordstein.
»Er hat sich wohl verfahren«, stellte Ivo fest und lehnte sich in seinem Sessel zurück.
Vuk gab ihm im Stillen Recht. Der Lieferwagen mochte früher mal weiß gewesen sein, doch jetzt war er derart zerbeult und mit Kratzern übersät und mit Schmutz bedeckt, dass man seine ursprüngliche Farbe nur erraten konnte. Der Fahrer hatte
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