Handyman Jack - Story-Sammlung
her.«
Mit offensichtlichem Widerwillen griff Munir in die Manteltasche und reichte ihm ein weiteres Polaroid. Jack verstand augenblicklich sein Zögern.
Es war die gleiche blonde Frau wie auf dem ersten Foto, aber diesmal war sie nackt und lag mit gespreizten Armen und Beinen auf einer Matratze, das dunkle Schamdreieck der Kamera zugewandt. Ihre Augen leuchteten vor Verlegenheit. Ein gleichfalls nackter kleiner Junge hockte ängstlich neben ihr.
Ich hätte schwören können, sie wäre blond, stand am unteren Rand.
Jacks Kiefer schmerzte, so sehr presste er die Zähne aufeinander. Er reichte das Foto zurück.
»Und was ist gestern passiert?«
»Ich musste um Viertel vor drei auf der Straße vor dem Imperial Theater urinieren.«
»Super«, sagte Jack. »Das ist kurz vor der Nachmittagsvorstellung vom Phantom der Oper.«
»Das stimmt. Aber ich würde es wieder tun, wenn ich damit Barbara und Robby befreien könnte.«
»Sie müssen vielleicht noch viel schlimmere Dinge tun. Ich bin mir da sogar sicher. Ich glaube, dieser Kerl will Ihre Grenzen austesten. Er will sehen, wie weit zu gehen Sie bereit sind, was Sie alles tun würden.«
»Aber wo wird das enden?«
»Vielleicht damit, dass Sie jemanden umbringen.«
»Ihn? Jederzeit! Ich …«
»Nein. Jemand anderen. Einen Fremden. Oder noch schlimmer – jemanden, den Sie kennen.«
Munir wurde bleich. »Nein. Sie meinen doch nicht wirklich …« Seine Stimme verebbte.
»Wieso nicht? Der Kerl hat Sie an den Eiern. Eine solche Macht kann einen stabilen Menschen krank machen und jemanden, der bereits krank ist, noch viel kränker.« Er beobachtete Munirs Gesicht, den Abscheu, der darauflag, während der Mann die Tischdecke anstarrte. »Was würden Sie tun?«
Eine Pause, während der Munir von irgendwo ganz weit weg zurückkehrte. »Was?«
»Wenn es so weit ist. Wenn er sagt, dass Sie wählen müssen zwischen dem Leben Ihrer Frau und Ihres Kindes und dem Leben von jemand anderem. Was würden Sie tun?«
Munir zögerte nicht. »Ich würde natürlich den Mord begehen.«
»Und das nächste unschuldige Opfer? Und das danach und das danach? Wann sagen Sie, dass es reicht, dass jetzt Schluss ist?«
Munir wich aus. »Ich … ich weiß es nicht.«
Eine schwierige Frage. Jack überlegte, was er tun würde, wenn es um Gia und Vicky ginge. Wie viele unschuldige Menschen müssten sterben, bevor er nicht mehr mitmachen würde? Wie lautete die Zahl? Jack hoffte, dass er das nie herausfinden müsste. Vielleicht sähen dann einige Serienmörder wie Waisenknaben neben ihm aus.
»Kommen wir zum Mitschnitt.«
Munir zog eine Kassette aus der Manteltasche und schob sie über den Tisch. Jack steckte sie in den Walkman. Vielleicht würde er ein Gefühl für diesen Kerl bekommen, wenn er ihm zuhörte.
Er gab Munir einen der beiden Kopfhörer und hielt sich den anderen ans Ohr, dann drückte er auf PLAY.
Die Stimme auf dem Band war elektronisch verzerrt. Dafür konnte es zwei mögliche Gründe geben. Einer war natürlich der, dass man so keine Stimmmusteranalyse erstellen konnte. Aber vielleicht hatte er auch Angst, dass Munir seine Stimme erkennen könnte. Jack lauschte auf den harten Südstaatenakzent. Durch die Hintergrundgeräusche ließ sich nicht sagen, ob der authentisch war oder nicht, aber an dem blanken Hass, der darin mitschwang, konnte kein Zweifel bestehen. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Stimme.
Da war etwas … etwas an diesem Kerl … langsam entwickelte sich ein Bild …
Munir konnte sich nur schwer auf das Band konzentrieren. Schließlich hatte er sich diese verhasste Stimme nun schon so oft angehört, dass er jedes schmutzige Wort, jede stimmliche Nuance bereits auswendig kannte. Außerdem fühlte er sich hier unwohl. Normalerweise ging er nie in eine Gaststätte, in der Alkohol ausgeschenkt wurde. Das Trinken und das Lachen an der Bar – das war vollkommen fremd für ihn. Also konzentrierte er sich auf diesen Fremden, der ihm da gegenübersaß.
Dieser Mann, der sich Handyman Jack nannte, war alles andere als eindrucksvoll. Er war zwar größer als Munir, vielleicht 1,78 Meter, mit schlanker, drahtiger Figur. In keiner Weise bemerkenswert. Dichtes braunes Haar und diese sanften braunen Augen – hätte er nicht ganz allein hier hinten gesessen, wäre er wahrscheinlich vollkommen unauffällig. Munir hatte eine Heldengestalt erwartet – wenn auch keinen Schwarzenegger-Typ, dann doch zumindest jemanden, der clever, schnell und
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