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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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eine Berührung am Ellenbogen.
    »Komm. Wir sind unbewacht.« Bomilkar flüsterte in sein Ohr, obwohl bei dem Geschrei und Gejohle ringsum auch laute Worte kaum vernehmbar gewesen wären.
    Sie schoben sich langsam durch die Menge zum Wagen, in die enge Straße. Über dem linken Hinterrad sahen sie auf dem Holz das rote Dreieck. Vier Ochsen mit umgehängten Futtersäcken waren vor den Karren gespannt; Antigonos und Bomilkar stiegen auf den Bock und glitten unter das Verdeck.
    Drinnen stank es erbärmlich; die Zwerge schienen dort nicht nur zu leben und zu essen, sondern auch ihre Notdurft zu verrichten. Taubenmist allein konnte es nicht sein. Bomilkar grinste den Hellenen an.
    »Hast du nicht gelegentlich gemeint, an Bord der Schwinge wäre es eng?«
    »Eng oder weit – paß auf deine Münzen auf. Ich fürchte, die Kleinen haben schnelle Finger.«
    Bomilkar nickte und klopfte auf seinen Gürtel. »Da kommen sie nicht rein.«
    Die Vorstellung dauerte sehr lange. Gekreisch, Gejohle und Gelächter sagten den beiden Eingesperrten immer wieder, daß sie etwas verpaßten, aber wenn die Flucht wirklich glückte, war das ein erschwinglicher Preis.
    Plötzlich ergossen sich die Zwerge in den Karren, plappernd und zischelnd. Es war weder Hellenisch noch sonst eine Sprache, die Antigonos je gehört hatte. Aristoboulos schloß die Klappe; einer der Zwerge zwinkerte Antigonos zu, öffnete dann sein Obergewand und lachte heiser. Der Zwerg war eine Zwergin mit drei Brüsten. Antigonos seufzte unhörbar.
    Der Wagen setzte sich in Bewegung, langsam, zäh, polternd. Wie in einem langwierigen Nachtmahr fühlte der Hellene sich von Zwergen beklettert, begrabscht, besabbert. Solange sie in der Stadt waren, wagte er sich nicht zu wehren.
    Irgendwann wurde der Wagen angehalten; sie hörten Stimmen, dann rollte das Gefährt weiter. Aristoboulos knallte mit der Peitsche und knurrte tief in der Brust unentwirrbare Gesänge oder fast zusammenhanglose Fetzen eines einzigen endlosen Gesangs. Der Wagen schlingerte, legte sich schief, richtete sich wieder auf. Einer der Zwerge zerrte an Bomilkars Gürtel; ein anderer ließ eine dunkelrote Taube durchs Karreninnere flattern. Die Zwergin – oder gab es auch davon mehrere? alle mit drei Brüsten? – hatte sich vollkommen entkleidet; von den Knien bis zum Nabel war sie mit rötlichem Pelz bedeckt. Sie spreizte die Beine, stieß schrille Geräusche aus und nestelte an Antigonos’ Schurz. In diesem Augenblick hielt der Wagen an; Aristoboulos steckte den Kopf unter die Plane, keckerte bei dem Anblick, der sich ihm bot, und schmatzte.
    »Ich muß unterbrechen – ihr beide steigt jetzt aus.«
    Arkesilaos wartete am Rand der Straße, die sich nordwestlich von Massalia durch die Küstenhügel wand. Er saß auf einem Pferd und hielt die Zügel von zwei weiteren Reittieren. Sie trugen Decken, zusammengebundene Vorratssäcke, Lederflaschen und Schwerter.
     
    Nach drei Tagen vorsichtiger Fortbewegung erreichten sie den Rhodanos. Viele Städte und Stämme am Strom betrieben Fluß und Seehandel; man mußte auch mit römischen Wachschiffen rechnen. In einem kleinen Hafen verkauften sie die Pferde und erstanden einen flachen Kahn.
    Bomilkar seufzte tief und lustvoll, als die Strömung sie erfaßte und an den verschilften Ufern entlang zum Meer trieb.
    »Salz«, sagte er, mit halbgeschlossenen Lidern. »Oh das Meer. Mein Meer.«
    »Nicht mehr lange, Freund. Bald werden die Römer es ihr Meer nennen.«
    Bomilkar spuckte über Bord. »Sie können nicht jeden einzelnen Tropfen beherrschen.«
    Am späten Nachmittag kamen sie zu den ausgedehnten Schilffeldern des unmittelbaren Mündungsgebiets. Unter der roten schrägen Sonne wogte der nasse knirschende Dschungel. Flamingos, Reiher und Kraniche flogen durch den verschleierten Himmel. Ein paar Armlängen neben dem Kahn stieg ein riesiger Fisch fast senkrecht empor, schnappte nach etwas und klatschte wieder ins Wasser.
    »Kein Boot in Sicht.« Bomilkar starrte flußaufwärts und flußabwärts. »Niemand beobachtet uns. Aber wo sollen wir das verheißene Schiff suchen?«
    Antigonos runzelte die Stirn. »Du bist der Kapitän – wo würdest du dich verbergen?«
    »Nicht zu nah am Meer – die Römer. Und nicht zu weit stromauf; da wird es im Schilf zu seicht.«
    »Hilft uns sehr viel weiter.«
    Bomilkar grinste. »Ach, ich soll helfen?«
    »Ich habe dich lange nicht mehr verprügelt, Sohn meines Freundes.«
    »Zuletzt vor etwa dreißig Jahren.«
    Antigonos stand auf;

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