Hanibal
Möglichkeit einräumten, auszubezahlen oder sich ausbezahlen zu lassen – oder zu verlängern.
In Philainon ging Lysandros an Bord des Schiffes; es sollte ihn, das Silphion und genaue Anweisungen an Bostar nach Qart Hadasht bringen. Antigonos langweilte sich einige Tage im Ort. Es gab ein Wirtshaus, mit Fundamenten und Gewölbe aus behauenen Steinen, einem Schankraum mit Ziegelwänden, darüber, aus Holz und Lehm, einem großen Schlafraum für Gäste, die den alten Pritschen und kribbelnden Decken zu trotzen gedachten. Außerdem eine Art Hafen, bestehend aus einer gemauerten Mole und ein paar baufälligen Schuppen, in denen man Schiffe hätte ausbessern können, wenn es Schiffe oder Handwerker gegeben hätte. Der punische Hafenmeister war die meiste Zeit betrunken. Der Rest des Orts, begründet auf den Gebeinen eines punischen Brüderpaars, das sich dort vor langer Zeit zur Rettung der Heimat geopfert hatte, bestand aus Holz und Lehmhütten; es gab ein paar Fischer, die in morschen Kähnen knapp außer Rufweite vom Strand dösten, und ein paar Bauern, Viehhirten und Silphion-Sammler. Alle anderen waren untätig und warteten auf das Frühjahr, den Wiederbeginn der Küstenschiffahrt, die erste Karawane.
Die punische Grenzfestung lag östlich des Orts auf einem kleinen Hügel, gesichert durch Wall, Graben, zweiten Wall und Palisaden. Antigonos, der die hundertfünfzig Soldaten seiner Unternehmung mit je zwei Schekeln entlohnt hatte – das entsprach in Qart Hadasht dem Lohn eines Hafenarbeiters für acht Tage –, betrank sich drei Nächte hintereinander im Wirtshaus mit den Offizieren und verbrachte die vierte Nacht mit der dicken, sehr hellhäutigen Schanksklavin, die nicht keuchte, ächzte oder kreischte, sondern schniefte. Am nächsten Tag wurde er von allen Offizieren, einzeln und grinsend, befragt, ob sie wieder dabei geschnieft habe. Am sechsten Tag, als er schon fast entschlossen war, den langen Weg allein zu wagen, traf eine kleine Winterkarawane ein.
Der Tempel des Amun nahm das Gold entgegen, ohne neue Orakelsprüche. Antigonos, beinahe erleichtert, reiste mit den anderen weiter nach Ägypten, wo sie bei Erreichen der ersten Grenzfestung – theoretisch gehörte bereits die Wüste gleich östlich von Philainon zum Reich der Lagiden – einen Tetradrachmon für jede Person zu zahlen hatten.
»Die neueste Erfindung«, sagte einer der Händler. Er spuckte aus vorsichtshalber erst, nachdem sie hundert Schritte jenseits der Posten waren. »Nicht nur Waren – jetzt muß man sich schon selber verzollen, um einreisen zu dürfen. Pah. Demnächst wird der König oder sein Dioiketes persönlich an der Grenze stehen, jedes Haar jedes Reisenden zählen und einen Obolos dafür verlangen, damit das königliche Wollmonopol nicht unterlaufen wird.«
Südlich des Moeris-Sees, in Shedet/Krokodeilonpolis, trennte Antigonos sich von den Händlern und reiste zum Nil, dann über Memphis, Merimda und Naukratis nach Alexandreia. Die Fahrt auf dem alten heiligen Fluß mußte immer wieder unterbrochen werden, weil jeder Posten jedes Dorfhafens in jedem Gau die Fahrterlaubnis des Kapitäns, die Zulassungsnummer des Schiffs und den Reisepapyros jedes einzelnen Fahrgasts sehen wollte. Antigonos tauchte wieder im alten Gefühl von Beklemmung, Ersticken und ohnmächtigem Haß unter. Der Flußschiffer, ein mittelalter Ägypter, dem die linke Ohrmuschel und der Mittelfinger der rechten Hand fehlten, erkundigte sich nach anderen Ländern. Antigonos berichtete von Qart Hadasht; um dem Heimweh zu entgehen, kam er dann auf das noch fernere Indien.
»Dort ist es also, wie du siehst, fast wie hier«, sagte er schließlich. »Der Herrscher hat seine Augen überall, die Steuern und Zölle sind ein Würgegriff, und die Menschen sind hier wie dort in Klassen eingeteilt.«
Der Schiffer wedelte Fliegen aus seiner Ohrhöhle. »Ja und nein. Wenn ich dich richtig verstanden habe, gibt es doch zwei große Unterschiede.«
»Welche?«
»Der indische Herrscher läßt mit dem Geld, das er eintreibt , Straßen bauen und Krankenhäuser und Unterkünfte für Arme und Waisen. Unser Tyrann steckt alles in die eigene Tasche; nichts davon kommt in anderer Form zum Volk zurück.«
»Das stimmt. Und was ist der zweite Unterschied?«
»Wenn man – du tust es nicht, wie du sagst, aber andere wohl – wenn man an ein Weiterleben oder Wiedergeborenwerden glaubt, ist es ein Trost, daß man bei anständigem Leben in eine höhere Klasse geboren werden kann.
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