Hannah, Mari
laut. »Tut mir leid, ich bin fix und fertig. Glaubst du, die Polizei hat gemerkt, dass Mum was getrunken hat?«
Ein besorgter Ausdruck huschte über Toms Gesicht. »Glaubst du, sie hat?«
»Sei nicht so naiv.« James sah ihn verächtlich an. »Sie hat nach dem Zeug gestunken.«
James stützte seinen rechten Ellbogen auf den Tisch, ballte die Faust und legte die rechte Wange darauf. Einen flüchtigen Augenblick lang war ihm, als sähe er seinen Vater – nicht Tom – auf der anderen Seite des Tisches sitzen.
Das Bild verschreckte ihn.
Er rieb sich die Augen, zwang sich dazu, sich zu entspannen.
Eine optische Täuschung, mehr nicht, es war spät.
Wenn man es aber recht bedachte, war da mehr als nur eine flüchtige Ähnlichkeit: die vielen Haare auf Toms Handrücken, die Form seiner Finger, die Form seines Kiefers, seine Gesichtszüge. James fuhr sich mit der Hand durchs Haar und gähnte, gab sich cool, obwohl ihn gruselte, die Augen immer noch fest auf Tom gerichtet.
»Was ist denn?«, fragte Tom, als er merkte, wie sein Bruder ihn anstarrte.
James sah weg, zu müde, um ein tiefschürfendes Gespräch anzufangen.
»James, was ist los?«
»Nichts. Ich war die halbe Nacht auf, und irgendein Hohlkopf mit einem Computerspiel hat mich daran gehindert, auch nur ein Auge zuzumachen. Ich geh ins Bett.«
»Noch nicht, ich möchte über Mum reden«, sagte Tom. »Könnte sein, dass sie in Schwierigkeiten steckt.«
»Ach komm, entspann dich!« James legte seine Zigaretten auf den Tisch, dann steckte er sie wieder ein und stand auf, ließ dabei den Stuhl kräftig über den Holzfußboden schrammen. »Sei einfach dankbar, dass sie niemanden umgebracht hat und sich selbst auch nicht. Das war nichts als ein verdammter Unfall. Das kommt schon in Ordnung.«
»Sie setzt sich nie ans Steuer, wenn sie was getrunken hat.«
»Ach ja? Dann hat sie eine Ausnahme gemacht. Jeder hat mal einen schlechten Tag, jeder säuft sich mal einen an, sogar du.«
Toms Miene verfinsterte sich. Er griff in seine Jackentasche, zog eine Visitenkarte heraus und reichte sie über den Tisch. »Das war am Haus, als ich ankam«, sagte er.
James nahm die Karte. Während er las, runzelte er langsam die Stirn. Es war eine Visitenkarte der Polizei, eine handschriftliche Nachricht von DC Andrew Brown, der ihre Mutter dringend aufforderte, sich zu melden. Achselzuckend steckte er sie in die Tasche.
21
Bright mühte sich nach Kräften, ein Abendessen zu bereiten, rührte in einer Pfanne auf dem Herd. Auf der anderen Seite der Küche klingelte das Telefon, gleichzeitig begann der Wasserkessel zu pfeifen. Bright ließ alles stehen und liegen. Erst ging er ans Telefon – mehr aus Gewohnheit denn aus Notwendigkeit –, dann zog er die Pfeife vom Kessel ab, damit der Lärm ihm nicht länger das Trommelfell zerschnitt. Während er Wasser über die bereits vorbereiteten Teebeutel goss, bellte er seinen Namen ins Telefon.
Eine Männerstimme. »Hier ist Trent.«
»Welcher Trent?«, fragte Bright ungeduldig.
»Verwählt, Entschuldigung.«
Die Leitung war tot.
Bright sah Stella an, die Frau, die er mit solcher Leidenschaft geliebt hatte, seit er sie vor dreißig Jahren zum ersten Mal gesehen hatte und die jetzt nur noch ein Schatten ihres früheren Selbst war. »Das ist ja nett«, sagte er. »Da hast du wohl Dummheiten gemacht, was, Liebes? Ein Typ namens Trent war am Telefon, ohne Manieren, hörte sich jünger an als ich. Hattest du da etwa ein Techtelmechtel? Ein kleines Geheimnis namens Trent?«
Eine Träne rann still über Stellas Wange. Sie saß am Küchentisch in ihrem Rollstuhl, zusammengesunken, ihre Augen fixierten einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand.
»Dauert nicht mehr lang mit dem Essen, Liebes«, sagte Bright.
Natürlich würde es lange dauern! Es dauerte immer lange.
Bright lächelte seine Frau an, wobei er alles tat, um seine Gefühle zu verbergen. Er war nicht geschaffen für die Hausarbeit, in keinster Weise. Seit dem Unfall kam er kaum noch zurecht; zu stolz – oder zu dumm? – um Hilfe anzunehmen, kämpfte er darum, den Schein zu wahren, obwohl er es kaum schaffte, überhaupt weiterzumachen.
Nachdem er Stellas Tee aufgegossen hatte, fügte er etwas kaltes Wasser aus dem Hahn hinzu, um ihn abzukühlen, dann goss er ihn in eine Schnabeltasse und hielt ihn ihr an die Lippen. Und sie starrte weiterhin aus diesen leeren Augen in den Raum, versuchte, eine Nachricht zu übermitteln, die sie nicht in Worte fassen konnte. Bright
Weitere Kostenlose Bücher