Hannah, Mari
eine elegante Frau hereinschwebte wie eine Sommerbrise und zum Rezeptionstresen glitt, während der Duft ihres Parfüms kaum wahrnehmbar hinter ihr herwehte. Sie war exquisit gekleidet, hätte direkt vom Cover der Vogue herabgestiegen sein können. Die Rezeptionistin sprang auf und händigte der Frau einen Schlüssel aus, dann begleitete sie sie zu einem privaten Aufzug, der nur zu den Penthouse-Suiten fuhr.
Während die Aufzugtüren sich schlossen, lächelte sie kurz den Anwälten zu und dann der jungen Frau, die gerade zur Tür hereinkam. Carmichael war bis auf die Haut durchnässt, Wasser tropfte von ihrer Kleidung auf den Boden, klatschnasse Haarsträhnen klebten an ihrem geröteten Gesicht. Der Kontrast zwischen den beiden Frauen hätte nicht größer sein können. Von ihrer Erscheinung beschämt, eilte Carmichael zum Empfangstresen, wo ein Angestellter ihren Ausweis kontrollierte und sie im Lastenaufzug an einen weniger vornehmen Ort des Hotels verfrachtete, ein kleines Zimmer im warmen Untergeschoss, weit entfernt von den Augen der zahlenden Gäste. Man gab ihr ein Handtuch, mit dem sie ihre Haare trocknen konnte, und kündigte an, dass die Wachleute, mit denen sie sprechen wollte, in Kürze hier einträfen. Als sie kamen, sah Carmichael schon ein bisschen mehr nach Detective aus und ein bisschen weniger nach ertrunkener Ratte. Die nächste Stunde verbrachte sie damit, über Fitzgeralds Liste zu brüten und den Sitzplan mit den an der Tür abgegebenen Einladungen abzugleichen. Einer der Wachmänner berichtete, bei der Veranstaltung sei größter Wert auf Sicherheit gelegt worden.
»Ohne Einladung ist niemand reingekommen«, sagte er. »Keine Ausnahmen, wegen der hochkarätigen Gäste.«
Nicht überzeugt, wagte Carmichael einen kleinen Test. »Aber wenn jemand ohne Einladung aufgetaucht wäre – zum Beispiel jemand wirklich Wichtiges –, dann hätten Sie den doch für ein paar Scheinchen auch hereingelassen, oder?«
Ein flüchtiger Blick von einem Wachmann zum anderen genügte ihr als Antwort.
»Ja, das hab ich mir gedacht«, sagte Carmichael.
34
Plötzlich erhellte ein Blitz Jos Zimmer. Nachdem sie die Sekunden bis zum nächsten Donnergrollen gezählt hatte, schätzte Kate Daniels, dass das Zentrum des Unwetters noch etwa fünf Meilen entfernt war – irgendwo südlich des Flusses.
Jo bewegte sich unruhig in ihrem Bett.
Daniels beobachtete sie, eine tiefe Traurigkeit im Herzen. Einst hatten sie so viel mehr geteilt als nur die Leidenschaft, schwierige Fälle zu lösen. Sie wünschte, es wäre zwischen ihnen anders gelaufen, und dachte über all die Gründe nach, warum dem nicht so gewesen war. Niemand – nicht ihr Vater, nicht einmal Jo – war jemals wichtiger gewesen als ihr Ehrgeiz, es bis ganz nach oben zu schaffen.
Sie musste jetzt mit ihr sprechen – sie hatte immer noch einen Job zu erledigen.
»Warum hast du mir nicht erzählt, dass Alan zurück war?«, fragte sie sanft.
Es war eine gute Frage; eine, die Daniels schon von dem Augenblick an beschäftigt hatte, in dem sie Stephens’ Leiche gesehen hatte. Jo hatte viele verschiedene Eigenschaften, aber Geheimniskrämerei zählte nicht dazu. Wenn es so weit war, sagte sie stets die Wahrheit. Wie an dem Tag, an dem sie ihre Beziehung beendete, weil Daniels sich geweigert hatte, sich zu outen.
Der schlimmste Tag ihres Lehens.
Jo antwortete nicht.
»Du wusstest, dass er wieder im Lande war?«, drängte Daniels.
Sie wartete auf eine Antwort. Vielleicht hätte Jo irgendwelche Entschuldigungen gehabt, aber sie wollte sich ganz offensichtlich nicht äußern. Nun, irgendwann würde sie es tun müssen, ob sie wollte oder nicht. Und wenn nicht Daniels, dann einem ihrer Kollegen gegenüber.
»Sprich mit mir, Jo … Wir haben vor zwei Tagen seine Leiche gefunden.«
Jo schloss die Augen und drehte sich weg, überwältigt von ihren Gefühlen. Daniels hatte das geahnt. Sie stand auf und ging ans Fenster, unsicher, was sie als Nächstes tun sollte.
Sie sprach, ohne sich umzudrehen. »Soll ich die Jungs holen?«
»Nein, ich muss allein sein. Ich will, dass du jetzt gehst.«
Daniels drehte sich wieder zu ihr um. »So einfach ist das nicht. Ich ermittle in Alans Fall. Du weißt ganz genau, dass ich nicht weitermachen kann, wenn irgendjemand das mit uns herausfindet.«
»Du hast da etwas vergessen. Es gibt kein uns!« Jo hörte auf zu sprechen, als ein zweiter Blitz den Raum erleuchtete, rasch gefolgt von einem rollenden Donner. Die Lampen
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