Hannahs Briefe
gefallen.«
Hannah lächelte misstrauisch.
»Das ist alles?«
»Ja.«
»Deswegen waren Sie damals hier und sind dann im Flur ohnmächtig geworden?«
Max zog eine alberne Grimasse.
»Sie haben etwas vergessen.« Hannah zeigte auf den Koffer, mit dem er vor drei Monaten hergekommen war. »Ich habe ihn nicht geöffnet, ich möchte ihn Ihnen nur zurückgeben und wissen, woher Sie meine Adresse haben. Sie sind mir gefolgt, oder?«
Ein Hustenanfall.
»Schon gut, ich will Sie nicht verärgern. Viele Männer lügen meinetwegen, das ist ganz natürlich. Nur dass sie ihre Frauen anlügen, Sie aber lügen mich an.« Dann, mit schmachtendem Blick: »Oh, wirklich süß, danke, aber ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Sie Ihre Zeit vergeuden, wenn Sie eine Hure anlügen. Wir werden dafür bezahlt, an nichts zu glauben.«
»Dann bringt es auch nichts, wenn ich die Wahrheit sage«, stieß Max hervor.
»Ja, kann sein.« Hannah zündete sich eine Zigarette an. »Rio ist wirklich klein. Erinnern Sie sich an den Mann, der hier war, als Sie zu mir kamen? Er kennt Sie.«
Max erschrak.
»Ach, wirklich?«
»Er ist bei der Polizei, ein wichtiger Mann.«
»Tatsächlich … Ich habe viele wichtige Kunden.«
»Ach ja, natürlich! Er hat Sie mir ja auch empfohlen, er sagte, Sie leisteten gute Arbeit.«
Welche Arbeit hatte er wohl gemeint?, fragte sich der Schuhmacher.
»Ich gebe mir Mühe.«
»Ich auch.«
Max war so schockiert, dass die nächste Frage einfach so aus ihm herausplatzte: »Haben Sie nie daran gedacht, dieses Leben aufzugeben?«
»Nein.«
»Sich einen Mann zu suchen und zu heiraten?«
»Sex ist etwas zu Intimes, um es mit Bekannten zu machen.«
Mit einer Mischung aus Boshaftigkeit und Naivität fragte Max: »Und was kann man mit Bekannten machen?«
»Sie tolerieren.«
»Tolerieren Sie mich?«
»Ich kenne Sie nicht.«
»Dann können wir ja Sex haben. Es sei denn, Sie wollen mich kennenlernen.«
Himmel! Hatte da etwa der Teufel selbst aus ihm gesprochen? Hannah überspielte ihre Überraschung.
»Was wäre Ihnen lieber?«
»Sie hier rauszuholen!«
»Nennen Sie mir einen guten Grund dafür.«
»Um eine … respektable Frau zu sein.«
»Respektabel? Was bedeutet Respekt für Sie? Glauben Sie, es interessiert mich, was irgendwelche Leuteüber mich reden? Mich interessiert nur, was sich in diesem Bett abspielt, sonst nichts, weil es hier nämlich mehr Respekt und Aufrichtigkeit gibt als draußen! Übrigens, zwei Dinge habe ich im Leben gelernt. Erstens, Respekt zu verdienen bedeutet nicht, ihn auch zu erlangen, und zweitens, Respekt zu erlangen bedeutet nicht, ihn auch zu verdienen.«
»Aber … es gibt auch Menschen, die ihn sowohl erlangen als auch verdienen.«
Hannah schlug die Beine übereinander.
»Respektieren Sie mich?«
»Sehr.«
»Da haben wir ja schon mal eins gemeinsam: Ich respektiere mich auch. Und wissen Sie warum? Weil ich nie jemanden gezwungen habe, sich in dieses Bett zu legen, weil ich alle meine Rechnungen bezahle, weil ich vielen Menschen helfe und dazu noch an Jom Kippur faste! Ich mache mir keine Sorgen darum, was man über mich redet.«
Hannah stand auf und holte einen Aschenbecher vom Nachttisch. Sie klopfte die Asche ab und fuhr fort: »Kennen Sie die Geschichte vom Bettlaken, Max? Ich erzähle sie Ihnen. Sarah stand am Fenster, sah draußen den Wäscheständer der Nachbarin stehen und rief ihren Mann: ›Isaak, sieh nur, wie schmutzig ihre Bettlaken sind!‹ Am nächsten Tag dasselbe: ›Isaak, wie schrecklich, sieh nur! Lernt denn die Nachbarin nie, wie man Bettlaken wäscht? Sie muss doch nur mich fragen, die Arme!‹ Die Zeit verging, und zu Sarahs Entsetzen wurden die Bettlaken immer schmutziger.Doch eines Tages geschah das Wunder!« Hannah lehnte sich im Sessel zurück und zog ihr Negligé zurecht. »Sarah konnte es kaum glauben. Auf dem Wäscheständer der Nachbarin hingen die saubersten Bettlaken, die man sich vorstellen kann. ›Isaak, komm her, ich fasse es nicht, die sind ja noch sauberer als unsere! Wie kann das sein?‹ Da antwortete Isaak ganz ruhig: ›Ganz einfach, Frau. Ganz einfach. Ich habe heute Morgen die Fenster geputzt!‹«
Max ließ demütig den Kopf sinken. Er griff nach seiner Tasse, aber es war kein Tee mehr darin, mit dem er seine Hilflosigkeit hätte verbergen können.
»Muss ich alle Hoffnungen aufgeben?«
»Nur wenn sie nicht erfüllbar sind.«
»Welche sind erfüllbar?«
»Die kosten hundert Mil-Réis die Stunde.«
Max war
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