Hannahs Entscheidung
es dir doch bereits schon einmal. Ich bin zufrieden mit meinem Leben und möchte nichts daran ändern. Nichts.« Er schenkte ihr ein Lächeln, um sie zu überzeugen, aber auch, weil ihn ihre Besorgnis rührte.
»Vielleicht hält das Schicksal die Chance auf ein zweites Glück für dich bereit? Man kann nie wissen«, entgegnete Tayanita unbekümmert, wobei sie in einer Schublade nach Besteck kramte.
Sam stieß geräuschvoll Luft durch die Zähne. Dieses hartnäckige Weib ließ nicht locker. »Ach, das Schicksal. Nimm’s mir nicht übel, aber auf diese Diskussion verspüre ich im Augenblick gar keine Lust.« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Entschuldige mich bitte, ich muss jetzt wirklich los, das Medikament beim Tierarzt abholen, sonst stehe ich vor verschlossenen Türen.«
»Dickkopf.« Mit einer Handvoll Besteck zwischen den Fingern musterte sie ihn warm aus unergründlichen Bernsteinaugen, die das Wissen ihrer Urväter in sich zu tragen schienen. »Ich meine es doch nur gut mit dir.«
Sam hauchte ihr einen raschen Kuss auf die Wange. »Wie immer.« Den Kopf voller verwirrender und beunruhigender Gedanken verließ er die Küche.
*
Über dem Asphalt flirrte die Hitze. Dreißig Grad und achtzig Prozent Luftfeuchtigkeit hatte der Wetterfrosch von magic 98,9 für die Gegend um Willow Creek heute früh gemeldet. Alle Geschäfte hatten ihre Markisen ausgefahren, um die Sonne auszusperren. Ein dunkelhäutiger Mann mit einer Plastiktüte in der Hand schlurfte in zerschlissenen Sandalen den Gehweg entlang. Auf einer Bank vor einem Schmuckgeschäft fächerte sich eine Frau mit einer Zeitung Luft zu. Kleine Schweißtröpfchen überzogen ihre Stirn. Wer sich nicht unbedingt draußen aufhalten musste, zog es vor, klimatisierte Räume aufzusuchen. Eben ein typischer Spätsommertag in North Carolina, stellte Hannah fest. Sie wandte sich vom Fenster ab, um sich erneut der Spülmaschine zu widmen. Im Café war es ruhig an diesem Morgen. Wenn überhaupt jemand kam, dann nur, um sich mit einem eiskalten Getränk zu versorgen. Ihr Handy klingelte. Sie trug es jetzt immer bei sich, für den Fall, dass Ellie oder das Krankenhaus versuchen sollten, sie zu erreichen.
Es war Sam. Er kam gleich zur Sache. »Ich habe mich gefragt, ob wir uns später vielleicht auf ein kühles Bierchen oder ein Glas Eistee treffen könnten?«
Hannah rutschte der Türgriff der Spülmaschine aus der Hand. Scheppernd krachte die Tür gegen den Geschirrwagen. Kaum hatte sie das schreckliche Ereignis des gestrigen Tages verarbeitet, stand heute anscheinend die nächste Überraschung an. »Wir zwei?«
»Warum nicht?« Es klang, als ob Sam lächelte. »Ich finde, wir sollten uns besser kennenlernen. Schließlich wohnst du – Verzeihung – wohnen Sie mit mir unter einem Dach.«
Hinter Hannahs Stirn arbeitete es fieberhaft. Ausgehen mit Sam? Warum nicht, dachte sie im ersten Moment, doch eine Stimme in ihrem Inneren hielt sie warnend zurück. »Hören Sie, Sam …«
»Es war nur eine spontane Idee«, unterbrach er sie rasch.
Machte er etwa einen Rückzieher? So einfach kam er ihr nicht davon! »Es ist schon in Ordnung. Und ja, ich finde, das ist eine gute Idee.«
»Dass wir uns duzen?«
Jetzt lachte sie. »Nein, ja, auch. Aber ich meinte das mit dem Ausgehen.«
»Wunderbar. Wie passt es dir am frühen Abend?«
»Ich wüsste nicht, was dagegenspricht«, erwiderte sie. Was zum Teufel machte sie da?
»Großartig. Sagen wir gegen halb sechs? Ich kenne ein bezauberndes Lokal direkt hinter der Grenze in South Carolina, Annie’s Cottage . An einem kleinen verwunschenen See gelegen, dem Emerald Lake.«
»Hört sich gut an.« Sie konnte den hektischen Herzschlag an ihrer Kehle spüren.
»Prima. Ich schlage vor, wir treffen uns auf Green Acres und fahren dann gemeinsam los. Natürlich nur, wenn es dir recht ist.«
Es war ihr recht. Mehr, als es sollte. »Gern.«
»Bis dann, Hannah.« Er hatte aufgelegt.
Wiederholt schielte sie auf die Wanduhr über der Schwingtür. Zehn vor halb vier. Gleich konnte sie nach Green Acres aufbrechen, um eine Dusche zu nehmen und sich umzuziehen. Sie konnte es kaum erwarten, aus den verschwitzten Klamotten herauszukommen. Trotz des eingeschalteten Deckenventilators war es ganz schön stickig in der kleinen Küche. Tayanita hielt nichts von Klimaanlagen, wie sie ihr einmal anvertraut hatte. Sie zog diesem technischen Kram jederzeit den bezaubernd altmodischen Charme der Ventilatoren vor.
Hannah legte die
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