Hannas Entscheidung
Tonne Lebendgewicht zu mir in den dritten Stock hochgehievt? Doch nicht wegen solcher Fragen?« Ihren Faustschlag gegen seine Brust wehrte er geschickt ab.
»Oberst Hartmann hat mich vorhin angerufen.« Ihre Augen blitzten zwischen Zorn und Lachen.
Er stutzte, richtete sich auf, runzelte die Stirn. »Wieso ruft er dich an?«
Sie zuckte die Achseln. »Weil er wissen wollte, wie es dir tatsächlich geht. Ich meine aus medizinischer Sicht, nicht aus deiner Männer-Selbstüberschätzer-Sicht.«
»Was hast du ihm gesagt?«
»Dass du frühstens in zwei Wochen wieder einsatzfähig bist.«
Er stöhnte, fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, die dringend einen Schnitt benötigten. Zwei Wochen! Er bekam bereits jetzt die Krise.
»Ja, das Stöhnen von deinem Oberst hörte sich ähnlich an.«
Sie richtete sich auf. »Dann werde ich mal meine Tonne Lebendgewicht wieder die Treppe runterhieven.«
Er reichte ihr die Hand und half ihr beim Aufstehen. Sie streichelte seine Wange, stellte sich auf die Zehnspitzen und gab ihm einen Kuss auf die andere. Glänzten in ihren Augen Tränen? Ben blieb sicherheitshalber genau dort stehen, wo er war. Ihm fehlte die Erfahrung für die emotionalen Achterbahnfahrten einer Schwangeren.
Sie drehte sich in der Tür noch mal um. »Ach ja, hätte ich fast vergessen. Du sollst am Montag im Hauptquartier vorbeischauen, wenn du ausgeschlafen hast.«
Ein Grinsen schlich sich in sein Gesicht. Er liebte seinen Beruf. Männer waren simpel und einfach im Umgang. Die paar Frauen in seinem Job waren nicht viel anders. Mit jedem Schritt, mit jedem zackigen Gruß ließ seine Unruhe nach. Obwohl er keine Uniform trug, kannten viele der Soldaten, die ihm begegneten, seinen Rang von seinem letzten Besuch. Im Hauptgebäude fragte er nach, wo er seinen Vorgesetzten finden konnte. Oberst Hartmann hatte den Telefonhörer am Ohr, als er eintrat. Die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst, hörte er seinem Anrufer zu. Er forderte Ben mit einer Geste auf, sich zu setzen, als er sich höflicherweise aus dem Raum bewegen wollte, also schloss Ben die Tür und setzte sich abwartend vor den Schreibtisch.
»Ist das endgültig?«
Ben zuckte bei dem scharfen Ton zusammen. Er fragte sich, was seinen Oberst so verärgerte.
»Es ist zum Kotzen! Wird er überwacht?« Hartmann schüttelte nach der Antwort ungehalten den Kopf, dann wandte er sich halb von Ben ab und starrte auf die Wand, bevor er tief seufzte. »Nein, ich weiß. Es lässt sich nicht ändern.« Er knallte den Telefonhörer auf die Halterung, fuhr sich mit beiden Händen durch seine Haare. »Armin Ziegler ist wieder auf freiem Fuß.«
»Was?«
»Sie haben richtig verstanden, Major Wahlstrom. Das Gericht hat seinem Antrag auf Haftminderung stattgegeben, aufgrund seiner Reue, des guten Leumunds und seines hervorragenden Benehmens während der Haftzeit.«
»Na toll.«
Eine Weile hing jeder seinen Gedanken nach. Vor Bens Auge schoben sich die Bilder eines sechzehnjährigen Mädchens, dessen Handgelenke bis auf die Knochen wundgescheuert waren. Für den, der darauf achtete, waren die Linien noch heute an ihren Handgelenken sichtbar. Die Verletzungen an den Oberschenkeln, die schlimmer waren, je näher es zum Vaginalbereich ging. Nicht Armin Ziegler hatte sie vergewaltigt. Vielleicht hatte er tatsächlich nicht geahnt, dass so etwas passieren würde. Dennoch wäre Hanna niemals in die Gewalt der Männer geraten, wenn er nicht dazu den Auftrag gegeben hätte.
»Was jetzt?«
Der Oberst zuckte mit den Achseln. »Nichts.«
»Er spaziert nach Hause, nimmt sein Leben wieder an dem Punkt auf, wo er es vor knapp zwei Jahren abgelegt hat, und das wars?«
»Ja.«
Ben dachte an Hanna, die unter falschem Namen in Rom lebte. Zum ersten Mal war er richtig froh, dass sie sich außerhalb der Schusslinie befand. Aber er dachte auch an das Opfer, das sie dafür hatte bringen müssen. Sie würde zeit ihres Lebens auf der Flucht sein.
»Irgendetwas Neues von diesem FoEI Verein?«
»Federation of Economic Interest – wirtschaftliches Interesse, dass ich nicht lache. Machthungrige, gierige Unternehmer, die Geld haben, um sich die Welt nach ihrem Gutdünken zu gestalten. Wussten Sie, dass es ein Klacks für die Deutschen aus diesem Verein wäre, die Schulden unseres ganzen Staats zu übernehmen?« Erneut fuhr sich der Oberst durch seine Haare, seufzte tief. »Aber deshalb habe ich Sie heute nicht hierhin beordert.« Er wuchtete sich hinter seinem
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