Hanni und Nanni - Klassenfahrt nach England
Vorfahrin.“
„Ach du liebe Zeit“, stöhnte Frau Mägerlein. „Gespenstergeschichten haben mir gerade noch gefehlt.“
„Oh, ja, bittöh!“, rief Mademoiselle Bertoux. Am helllichten Tag und in dieser Gesellschaft fürchtete sie sich vor keinem Gespenst der Welt. Und alle wussten, dass die Französin im Gegensatz zu ihrer strengen Kollegin sehr empfänglich für Schauergeschichten war.
„Nun ja, das stimmt schon“, fing Sir Duckton an. „Die Dame soll eine Vorfahrin von mir sein. Und sie war der Sage nach auch der Grund, warum diese Burg den Namen St. Claire erhalten hat. Aber eine Gespenstergeschichte ist es eigentlich weniger. Eher eine Liebesgeschichte, möchte ich sagen.“
„Oh, formidable“, rief Mademoiselle Bertoux. „Noch besser.“
Frau Mägerlein verdrehte die Augen.
„Lady Clare kam ursprünglich aus Deutschland.“ Sir Duckton räusperte sich. „Das ist auch der Grund, warum bis auf den heutigen Tag hier auf St. Claire Deutsch unterrichtet wird. Mein Urahn, Sir John Duckton, und Lady Clare hatten sich unsterblich ineinander verliebt. Clares Familie war davon nicht gerade begeistert und wollte sie in ein Kloster stecken. Also hat mein Urahn sie nach England gebracht und geheiratet.“
„Entführt. Er hat sie wohl entführt“, warf Frau Mägerlein missbilligend ein.
„Ach“, seufzte Mademoiselle Bertoux.
„Ihr Glück war nur von kurzer Dauer“, fuhr Geoffrey Duckton fort. „Schon nach kurzer Zeit musste Sir John an der Seite des Königs in den Krieg gegen Oliver Cromwell ziehen. Und Lady Clare blieb allein zurück.“ Er schwieg.
„Ja, und dann?“, fragte Hanni ungeduldig.
Sir Duckton lächelte. „Von da an saß Lady Clare jeden Tag in ihrem Zimmer und starrte aus dem Fenster. Sie hielt Ausschau nach ihrem geliebten John. Und nachts stellte sie eine Kerze auf, damit er sich im Dunkeln nicht verirrte und womöglich in das gefährliche Moor geriet, das sich nicht weit vom Schloss in Richtung Wald erstreckt.“ Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Aber der Krieg dauerte lange und die Königstreuen verloren ihn. Der Sage nach geriet Sir John in Gefangenschaft. Doch Lady Clare wartete und wartete. Endlich kam die Nachricht, er wäre entflohen und auf dem Weg zu ihr. Die ganze Burg war außer sich vor Freude, alles wurde festlich geschmückt und geputzt … Aber er kam nie an.“ Sir Duckton zuckte bedauernd mit den Schultern.
„Puuh“, machte Nanni. „Und was passierte dann?“
„Gar nichts“, sagte Sir Duckton. „Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass Sir John in der Gefangenschaft gestorben ist. Aber es gab auch Gerüchte, er sei im Moor versunken. Ausgerechnet an dem Abend, als die Nachricht kam, dass er entflohen sei, hatte Lady Clare vor Freude vergessen, die Kerze ins Fenster zu stellen. Als klar war, dass John nicht mehr kommen würde, ist sie darüber verrückt geworden. Den Rest ihres Lebens hat sie am Fenster zugebracht, auf ihren Geliebten wartend. Und manchmal schwirren über dem Moor Irrlichter herum. Dann sagen die Leute, Sir John sucht die Kerze, die Lady Clare ihm ins Fenster gestellt hat.“
„Wie romantisch“, sagte Nanni und kurze Zeit gingen alle still nebeneinander her.
„Also, so was“, meinte Hanni plötzlich und schüttelte den Kopf. „Nur so rumzusitzen und zu warten … Das wäre nichts für mich. Warum hat sie nichts unternommen? Ihn nicht gesucht? Nein, sie sitzt nur zu Hause rum und wird verrückt.“
Sir Duckton und Mister Gordon lachten.
„Da hast du recht“, sagte Sir Duckton. „Immerhin hat sie den Sohn großgezogen, mit dem sie von Sir John schwanger war, und der wurde dann zum eigentlichen Begründer des Hauses Duckton. Er nannte die Burg St. Claire, in Erinnerung an seine bis in den Tod treue Mutter.“
Das Schicksal von Lady Clare hatte auch Mademoiselle Bertoux und Frau Mägerlein so gefesselt, dass sie für den Weg zum Speisesaal sehr lange brauchten. Als sie ankamen, waren die meisten mit dem Frühstück längst fertig.
„Stellt euch vor, wir übernachten im Zimmer von Lady Clare!“, riefen Hanni und Nanni, als sie Daniela und Lilly entdeckten, und erzählten Sir Ducktons Geschichte.
Die beiden waren allerdings weniger beeindruckt. Lilly zuckte nur mit den Schultern.
„Clyde und Seth haben gesagt, heute Abend gibt’s eine Überraschung“, sagte Daniela, während die Zwillinge Toastscheiben mit Orangenmarmelade bestrichen und sich aus einer großen silbernen Kanne Tee eingossen.
„Oh, da fällt
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