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Hans Heinz Ewers

Hans Heinz Ewers

Titel: Hans Heinz Ewers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geschichten des Grauens
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Stephes Hirn: ,Die Güte und die Schönheit und der seltene Liebreiz der Verblichenen.’ – Er sollte das Grab zuwerfen an diesem Abend. Er stand in der Grube, hob die Kränze und Blumen hinaus, die einstweilen auf dem Sarge lagen. Und bemerkte, daß ein, zwei Schrauben am Sarge lose waren.
    Das kam öfter vor. Er nahm mechanisch seinen Schraubenzieher aus der Tasche, sie fester anzuziehen. Aber er setzte sein Instrument an andere Schrauben, schraubte nicht fest, sondern los. Er tat das nicht – etwas in ihm tat es. Er schraubte alle Schrauben los und hob den Deckel vom Sarge.
    Dann starrte er auf die Tote.
    Wie sie ausschaute? Das hatte Stephe längst vergessen, vermutlich schon in der nächsten Viertelstunde. In seinem Gedächtnisse lebten nur die banalen Worte des Geistlichen, und nur mit denen vermochte er dem Freunde sie zu beschreiben: ,Die Güte und die Schönheit und der seltene Liebreiz der Verblichenen’.
    Stephe starrte auf die tote Frau. Eine Locke war ihr über das Gesicht gefallen, die strich er zurück (Die Far be? – O nein, die Farbe wußte er nicht.) Aber seine harten Finger berührten diese bleiche Wange. Fuhren auf und nieder über das Gesicht. Eine Hand erst, dann beide.
    Dann schloß er den Sarg. Schraubte alle Schrauben fest zu. Stieg hinaus aus dem Grabe, warf es zu.
    Das war Stephes erstes zartes Abenteuer in dem Garten der Liebe.
    Bis dahin war es Stephe völlig gleichgültig gewesen, wer begraben wurde. Etwas Totes lag da in dem Sarge, und das mußte man zuschaufeln.
    Nun aber lauschte er auf die Worte, die man am Grabe sprach. Oder auch, oft genug, nicht am Grabe, sondern in der kleinen Kapelle am Nordende des Friedhofes. Viele Feierlichkeiten fanden dort statt; dann blieben die aufgebahrten Särge oft über Nacht stehn, um erst am Morgen von den nächsten Angehörigen beerdigt zu werden.
    Und manchmal waren es junge Frauen und Mädchen –
    Er war der einzige Gehilfe, der auf dem Friedhofe hauste; es war seine Pflicht, jeden Abend vor dem Schlafengehn noch einen letzten Rundgang zu machen. Auch: in die Kapelle zu sehn.
    Er ging in die Kapelle. Er trat nahe heran an den Sarg, schaute die toten Frauen an. Er schob die Blumen zurecht, glättete irgendeine Falte des Hemdes.
    Und langsam, unendlich langsam, in langen Nächten, lernte er wie ein halbwüchsiger Knabe die Zärtlichkeiten der Liebe.
    Lernte von stillen Lehrerinnen. Stillen, sanften, sehr gütigen.
    Aus dem rauhen Tappen seiner harten Hände wurde ein zartes Streicheln; von seinen Lippen kamen, unbewußt, zärtliche Laute. Manchmal gar ein Wort.
    Er berührte liebkosend diese bleichen Wangen, die Stirne, auch die Hände.
    Aber nie hob er die Augenlider.
    Ganz von selbst kam das alles. Nie nahm er sich vor, dies zu tun oder jenes: Er tat es – und es kam ihm erst zum Bewußtsein, wenn es geschehen war.
    Seine Hand streichelte den Hals und den Nacken. Seine Finger schoben zitternd das Leilach zurück, tasteten furchtsam über die quellenden Brüste –
    Dann, einmal, bog sich sein Kopf herab. Und sein Mund küßte –
    Er wußte nicht, was das war, was er zum ersten Male küßte. Die Schulter vielleicht – oder die Wange – oder –
    Das wußte er nicht. Es war ein sehr Großes in seinem Leben – aber er wußte nicht, was es war.
     
    Stephe schnitt Blumen im Friedhofe und brachte sie zur Nacht den Geliebten. Er schob die andern zur Seite und gab ihnen seine Blumen in die Hand –
    Einmal, als sie noch lebten, gehörten diese Frauen andern Menschen. Eltern, Gatten, Verlobten. Jetzt aber niemandem mehr. Nur: ihm. Stephe hatte ein sehr starkes Gefühl hierfür: Sie kamen zu ihm, gehörten ihm, ihm allein auf der Welt.
    Doch war das nicht herrschsüchtig, nicht tyrannisch. Es waren nicht Geschöpfe, denen seine Laune befahl – waren seltene Wesen, denen er diente.
    Und die – dennoch – sein waren. Ihm gehörten, ihm ganz allein.
    Die erste, die ihn zur Brautnacht lud, war eine junge, schwarze. Das wußte er, daß sie schwarzes Haar hatte – aber ihren Namen hatte er vergessen. Sie lag nicht in der Kapelle in ihrem Sarge. Lag schon in der offenen Grube.
    Stephe ging zu ihr in der Nacht. Machte den Deckel los – und es war eine sehr mühselige Arbeit, weil es ein billiger schlechter Sarg war und weil neben den Schrauben schlechte Nägel verwendet waren, die sich krümmten.
    Die Schwarzlockige lag da. Er gab ihr seine Blumen. Er streichelte sie und bedeckte sie mit zarten Küssen. Er sprach leise zu ihr.
    Da bat sie ihn:

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