Hans Heinz Ewers
Testament holen.“
Jan Olieslagers sah ihm nach. „Armer Kerl“, murmelte er, „da wird eine schöne Teufelei drinstehn.“ Er nahm die Karaffe und goß die Gläser hoch voll.
Der Graf brachte eine lederne Schreibmappe und schloß sie auf. Er nahm ein kleines Kuvert und reichte es dem Freunde.
„Ich?“ fragte dieser.
„Ja. Die Gräfin wollte, daß du es öffnen solltest.“
Einen Augenblick zögerte der Vlame, dann zerbrach er die Siegel. Er riß das Kuvert auf und las laut die steilen Züge auf dem violetten Bogen:
Der letzte Wille
der Stanislawa d’Asp.
Ich will, daß man das, was noch von mir übrig ist, drei Jahre nach meinem Begräbnis aus dem Sarge herausnimmt und beisetzt in einer Urne der Schloßkapelle. Dabei soll keinerlei Feier stattfinden, auch soll außer den Gärtnern niemand zugegen sein als der Graf Vincenz d’Ault-Onival und sein Freund Herr Jan Olieslagers. Doch soll es ein Nachmittag sein, an dem die Sonne scheint; und ehe sie untergeht, sollen meine Reste in der Urne der Kapelle ruhn: ein Andenken an des Grafen gro ße Liebe zu mir. Schloß Ronval, 25. VI. 04.
Stanislawa, Gräfin d’Ault-Onival.
Der Vlame reichte das Blatt dem Grafen: „Hier – das ist alles.“
„Ich wußte es ja; genauso sagte sie es mir. Glaubtest du, es würde noch etwas anderes enthalten?“
Jan Olieslagers ging mit langen Schritten durch den weiten Raum. „Offen gestanden – ja! – Sagtest du nicht, daß diese Art von Beisetzung eine uralte Gewohnheit eurer Familie sei?“
„Ja.“
„Und daß du unter allen Umständen Stanislawa diese Ehre erwiesen hättest?“
„Ganz gewiß!“
„Wozu denn in aller Welt läßt sie dich etwas, das so selbstverständlich ist, zweimal schwören und in so feierlicher Form?“
Der Graf nahm das Bild und blickte lange darauf. „Meine Schuld“, sagte er, „meine große Schuld. – Komm, setze dich, ich will es dir erklären. – Sieh, die Gräfin glaubte an meine Liebe zu ihr. Wie dann diese Liebe das erste Mal versagte, als sie ein Großes von mir verlangte, war es, als ob sie in einen Abgrund fiele. Als ich ihr abschlug, um was sie mich bat in jener Nacht, wollte sie gar nicht glauben, was ich sagte, meinte, ich scherze nur. So sehr war sie überzeugt, daß meine Liebe tun müsse, was sie verlange. Und als sie dann sah, wie schwach ich war, und wie ich nicht lassen konnte von ihr; als sie dies einzige verlor, an das sie glaubte, da ging eine seltsame Veränderung mit ihr vor. Es schien, als habe ich ihrem Leben den Inhalt genommen; sie schwand dahin, langsam, wie ein Schatten, wenn die Sonne sinkt.
So wenigstens glaubte ich das alles zu verstehen.
Monatelang verließ sie ihr Zimmer nicht. Sie saß auf ihrem Balkon, schweigend, träumend, blickte hinaus in die hohen Bäume. In dieser Zeit sprach sie kaum mit mir, sie klagte nicht; es war, als ob sie alle Tage grübele über irgendeinem Geheimnis. Einmal traf ich sie dann hier in der Bibliothek, sie lag auf dem Boden und suchte eifrig in allen möglichen Büchern. Aber ich weiß nicht, was sie las; sie bat mich hinauszugehen. Dann schrieb sie viel, jeden Tag ein paar Briefe; und bald kamen Pakete von allen Seiten. Die ersten enthielten nur Bücher, ich weiß nicht welcher Art; sie verschloß sie und hat sie verbrannt noch vor ihrem Tode. Aber ich weiß, daß sie alle von Toxikologie handelten. Sie studierte eifrig darin; durch ganze Nächte lief ich im Parke umher und sah den matten Schimmer ihrer erleuchteten Fenster. Dann schrieb sie wieder, und diesmal kamen kleine seltsame Kisten an, meist eingeschrieben und als Warenproben gesandt. Sie trugen die Namen der Absender: Es waren Merck in Darmstadt und Heusser in Zürich und andere bekannte Giftfirmen. Mich faßte eine große Angst, ich fürchtete, daß sie sich vergiften wolle. Endlich faßte ich mir ein Herz und fragte sie. Da lachte sie: .Sterben? Nein, das ist nicht zum Sterben! Es ist nur – um mich besser zu erhalten!’ – Ich fühlte wohl, daß sie die Wahrheit sprach, und doch beruhigte mich ihre Antwort nicht. Zweimal kamen Postpakete, die in der Stadt beim Zoll abgeholt werden mußten; ich bat, ob ich sie selbst holen dürfe. Ich glaubte, sie würde es abschlagen, aber sie antwortete leichthin: ,Warum denn nicht? Hol sie nur!’ – Das eine Paket, dem ein außerordentlich scharfer, aber nicht unangenehmer Duft entströmte, enthielt einen Extrakt aus bitteren Mandeln, das andere, das aus Prag kam, eine glänzende Pasta, die sich
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