Hans Heinz Ewers
unter die Birken. Es schien ihm, als ob die Gärtner ungeheuer langsam arbeiteten, die Minuten krochen dahin. Er ging in den Obstgarten, pflückte Johannisbeeren und Stachelbeeren; suchte auf den Beeten nach einer verspäteten Erdbeere.
Als er wiederkam, sah er zwei der Leute bis zu den Schultern im Grabe stehen; nun ging es schneller. Er sah zwischen ihnen den Sarg liegen, sie nahmen mit den Händen die letzten Reste feuchter Erde davon. Es war ein schwarzer Sarg mit starkem Silberbeschlag, aber das Silber war längst schwarz geworden und das Holz morsch und klebrig, stark angegriffen von der warmen Feuchtigkeit des Bodens. Der Graf nahm aus der Tasche ein großes weißes Seidentuch, gab es dem alten Gärtner; da hinein sollte er die Knochen sammeln.
Die beiden anderen da unten drehten an den Schrauben; es gab einen häßlichen kreischenden Ton, wenn das Werkzeug ausglitt. Aber die meisten saßen lose genug in dem verfaulten Holze, mit den Fingern konnte man sie herausheben. Dann hoben sie ein wenig den Deckel, schoben leicht die Stricke darunter und knoteten sie fest. Einer sprang aus der Grube und half dem Alten den Deckel heraufziehen.
Auf einen Wink des Grafen nahm der andere das weiße Leintuch ab, das die Leiche bedeckte, und noch ein zweites kleineres Tuch, das nur den Kopf verhüllte.
Da lag Stanislawa d’Asp – und sie lag so da, wie sie auf ihrem Totenbette lag.
Das lange Spitzenhemd, das den ganzen Körper umhüllte, schien feucht und zeigte schwarze und rostrote Flecken. Aber wie aus Wachs geformt ruhten die feinen Hände auf der Brust, hielten eng das elfenbeinerne Kruzifix. Und so wenig wie dieses selbst, war auch das Gesicht verändert. Nicht wie eine Lebende lag sie da, wie eine Schlummernde – und doch gab auch nichts den Ausdruck des Todes. Sie schien eine Wachspuppe, von Künstlerhand geformt. Diese Lippen atmeten nicht, aber sie lächelten. Und sie zeigten eine leichte rote Farbe, wie die Wangen, wie die Ohrläppchen, von denen zwei große Perlen tropften.
Aber die Perlen waren gestorben.
Der Graf hielt sich an dem Birkenstamm, dann setzte er sich schwer auf den hohen Haufen aufgeworfener Erde. Aber Jan Olieslagers war mit einem Sprung in dem Grabe. Er beugte sich tief nieder und knipste leicht mit dem Nagel auf der Toten Wange. Es gab einen ganz feinen leisen Ton, als ob er altes Sevres berühre.
„Komm herauf“, sagte der Graf, „was machst du da?“
„Ich habe festgestellt, daß die Prager Porzellanglasur deiner Gräfin eine ausgezeichnete Sache ist; man soll sie jeder Koketten empfehlen, die noch mit achtzig Jahren eine Ninon vorstellen will!“ Seine Stimme klang roh, fast gehässig.
Der Graf sprang auf, trat dicht an den Rand der Grube.
„Ich verbiete dir, so zu sprechen! – Bei allen Heiligen, siehst du denn nicht, daß diese Frau das tat für mich? – Und für dich auch – für uns beide! – Wir sollten sie wiedersehen, schön wie sie war – noch im Tode!“
Der Vlame biß die Zähne aufeinander. Er zauderte, aber er verschluckte seine Worte.
Dann sagte er trocken: „Es ist gut; wir haben sie gesehen. – Legt nun den Deckel wieder auf, Leute, und werft die Grube zu.“
Aber der Graf fiel ihm ins Wort: „Bist du närrisch? Vergißt du, daß wir sie beisetzen müssen?“
„Diese Frau verdient nicht in der Kapelle der Grafen d’Ault-Onival zu ruhen.“ Er sprach ruhig, aber herausfordernd, jedes Wort betonend. Der Graf war außer sich:
„Das, das sagst du – an dem Grabe dieser Frau? Dieser Frau, deren Liebe hinausging über das Grab – –“
„Ihre Liebe? – Ihr Haß!“
„Ihre Liebe, sage ich! Sie war eine Heilige –“
Da schrie der Vlame mit lauter Stimme dem Grafen ins Gesicht:
„Sie war die infamste Dirne in ganz Frankreich!“
Der Graf kreischte, er ergriff einen Spaten und schwang ihn in der Luft. Aber ehe er sich auf den Freund stürzen konnte, faßten ihn die Gärtner.
„Laßt los!“ brüllte er. „Laßt los!“
Der Vlame verlor seine Fassung nicht.
„Warte nur einen Augenblick“, sagte er, „dann magst du mich totschlagen, wenn du willst.“
Er beugte sich nieder, öffnete den Knopf am Halse und riß weit das Hemd von dem Leibe der Toten. „Da Vincenz, schau her!“
Verzückt schaute der Graf hinunter. Nackt lagen die schlanken Arme vor ihm, bog sich dieser unendlich feine Nacken, ruhte da die weiße kleine Kinderbrust. Und die Lippen lächelten, lächelten immer, schienen ihn einzuladen zu Hochzeitslust – –
Er
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