Hansetochter
Adrian dies bemerkte, verdüsterte sich sein Gesicht.
»Das Blut meiner Männer wird dieses Schiff für immer zeichnen. Als stete Mahnung daran, im Kampf um die Sicherheit auf den Meeren nicht nachzulassen.«
Als sie an die Bordwand zurückgingen, meinte Adrian zu Simon: »Du hast einen Hudevat wie ein Seemann, aber hast du denn auch schon einen Dolch und einen Harnisch?«
Ihr Bruder verneinte: Sein Vetter habe gesagt, das sei nicht nötig. Adrian ging zu einer Truhe und holte Dolch und Harnisch in einer passenden Größe hervor. Obgleich Simons Augen begeistert leuchteten, meinte er, dass er ein solches Geschenk nicht annehmen dürfe. »Den Schreibgriffel durftest du doch auch von mir annehmen? Na also. Du musst es deinem Vetter ja nicht verraten.«
Als die Geschwister die Werft verließen, war Henrike über den Verlauf des Gespräches mit Adrian Vanderen mehr als erleichtert. Mit jedem Schritt auf dem Heimweg wuchs in ihr allerdings auch die Besorgnis. War es so gefährlich im norwegischen Bergen, dass Simon Waffen und Schutz brauchen würde?
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Schon am übernächsten Tag legte die Kogge ab, die Simon, Nikolas und andere Kaufleute aus Lübeck nach Bergen bringen würde. Es war ein kühler Frühlingstag, aber die See würde ruhig bleiben, meinte Bosse Matys, der wie Henrike bei der Abfahrt zusah. Sie winkte Simon hinterher, unaufhörlich darum ringend, nicht in Tränen auszubrechen. Was Nikolas anging, war sie heilfroh, ihn los zu sein. Bevor er abgefahren war, hatte er sie beiseite genommen, mit grober Hand ihr Kinn umfasst und ihr etwas zugeflüstert. Seine Worte klangen noch immer in ihrem Ohr: »Keine Angst, ich werde jetzt die Finger von dir lassen.Aber irgendwann, wenn du nicht mehr damit rechnest, werde ich da sein. Ich werde mich um dich kümmern. So wie ich mich um deinen Köter gekümmert habe. Und dann Gnade dir Gott.« Dann hatte er sie stehen lassen.
Wie betäubt hatte sie sich an eine Wand lehnen müssen, so weich waren ihre Knie gewesen. Griseus – er hatte ihm also doch etwas angetan! Sie sah ihren treuen Hund vor sich, mit seinem wuscheligen Fell und den braunen Augen. Wie sehr hatte sie sich an ihn gewöhnt! Und was konnte das arme Tier dafür, dass ihr Vetter so ein Scheusal war? Sie wusste, dass er versuchen würde, seine Worte wahr zu machen, und hatte keine Ahnung, was sie dagegen tun konnte.
Henrike sah zu, wie die Mastspitze der Kogge in der Ferne verschwand, und versuchte, die Gedanken an ihren Vetter weit von sich zu schieben. Sie war in Lübeck in Sicherheit, aber Simon müsste auf sich aufpassen. Sie würde nachher zur Wachsverkäuferin gehen, ein Schiffchen kaufen und es dem heiligen Nikolaus für Simons sichere Heimkehr opfern. Auch hatte sie ihrem Bruder das Abbild des heiligen Christophorus, das ihren Vater auf Reisen stets begleitet hatte, in seinen Hudevat gesteckt. Aber ob das ausreichen würde, um Simon wieder heil und gesund nach Hause zu bringen?
16
Lübeck, März 1376
A drian ritt, wie Mechthild Diercksen es ihm beschrieben hatte, vor den Stadtmauern an der aufgestauten Wakenitz entlang. Überall sah man jetzt die Zeichen des Frühlings. Als er einen guten Blick auf die Wassertürme der Brauwasserkunst hatte, zügelte er sein Pferd. Obgleich er das Tier erst vor wenigen Tagen erworben hatte, reagierte es gut auf seine Befehle. Einen Augenblick lang sah er zu, wie das hölzerne Schöpfrad das Flusswasser in einen Hochbehälter brachte. Von dort aus wurde es, wie er wusste, in das unterirdisch verlegte hölzerne Leitungsnetz gedrückt und durch die Pipen, längsdurchbohrte Eichenstämme oder viereckige Rinnen, in zahlreiche Brauhäuser und Straßen der Stadt geleitet. Adrian hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Dieses Leistungssystem war umso beachtlicher, wenn man die Hügellage der Stadt bedachte. Dass allerdings in der Nähe des Schöpfwerks für die Wasserleitung die Schlachthausabfälle in die Wakenitz mündeten, erschien ihm eigentümlich; möglicherweise bekam aber das Lübecker Bier gerade dadurch sein spezielles Aroma.
Gerade gestern hatte Adrian bei einem Brauer in der Hüxstraße im Ostteil der Stadt Bier für die Cruceborch bestellt. Voll des Stolzes hatte dieser Biermacher dem Kaufmann von Lübecks Braugewerbe vorgeschwärmt; natürlich hatte er sich einige Spitzen gegen die Konkurrenten aus Wismar und Hamburg nicht verkneifen können. Während sie sprachen, hatte Adrian die fünf in Lübeck hergestellten Biersorten probieren müssen –
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