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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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Vanderen!«
    Die Worte hingen in der Luft, uneinholbar. Die Gespräche um ihn herum verstummten. Hatte eben noch eine Brise in dem Segel gezerrt und es zum Knattern gebracht, herrschte jetzt Stille wie bei einer Flaute. Der Angesprochene lehnte sich zurück und ließ die fein geschnitzte Schachfigur aus Walroßzahn zwischen seinen Fingern tanzen. Adrian hätte sich nie auf dieses Spiel einlassen dürfen, aber der Kaufmann mit dem Schnauzbart hatte ihn schon seit Brügge deswegen bedrängt und ihn schließlich vor den anderen Mitreisenden herausgefordert. Lediglich um Geld zu spielen, hatte Adrian abgelehnt.
    »Und Ihr seid ein schlechter Verlierer, Heymo Ratze«, sagte Adrian Vanderen. Er sprach leise, der Klang seiner Stimme war sanft, aber das Blitzen seiner Augen verriet, dass es ihm ernst war. »Ich lasse mir keine Beleidigung gefallen, schon gar nicht an Bord meines Schiffes. Wenn Ihr Euch umschauen würdet   – was ich Euch nicht rate, um nicht noch mehr Aufsehen zu erregen   –, könntet Ihr sehen, dass die anderen Herren beobachten, wie ich auf Eure Schmähung reagiere. In wenigen Augenblicken werde ich Euch für diese Unverschämtheit an den Mast fesseln lassen. Es sei denn, Ihr entschuldigt Euch umgehend.«
    Heymo Ratze dachte nicht daran. Spöttisch zog er die Mundwinkel hoch. Von diesem Mann, der mit seinen tadellosen Kleidern, dem glattrasierten Gesicht und dem glänzend schwarzen Haar so wirkte, als ob er sich noch nie die Hände schmutzig gemacht hatte, würde er sich nicht einschüchtern lassen, schien sein Blick zu sagen.
    Doch bereits im nächsten Moment war es vorbei mit seiner Selbstgefälligkeit. Adrian Vanderen hatte das Brett vom Fass geschlagen, und noch bevor die Schachfiguren den Boden erreicht hatten, den Mann an die Bordwand geworfen und mit dem Unterarm am Hals fixiert. Nun waren wirklich alle Augen auf sie gerichtet. Heymo Ratze wand sich, doch der Klammergriff war eisern, und Adrian Vanderen blieb unverrückbar stehen.
    »Nun?«, fragte er scharf. Ratzes Gesicht war wutverzerrt. Er rang nach Luft, blieb aber stumm. Adrian drückte ihn nun langsam nach hinten über die Reling. Der Oberkörper seines Gegenübers hing schon ein gutes Stück über dem Meer.
    »Entschuldigt«, keuchte Ratze schließlich.
    »Lauter.«
    »Ich nehme   ... meine Worte   ... zurück. Ihr seid ein   ... Ehrenmann. Ich bin   ... ein schlechter Verlierer.« Seine Stimme war jetzt weithin zu hören. Adrian löste den Griff, und Heymo Ratze sank, seinen Hals umklammernd, auf das Deck des Schiffes. Der Kaufmann strich beiläufig die Falten aus seinem Wams und wies auf die am Boden liegenden Schachfiguren.
    »Sammelt die Figuren ein und legt sie in den Samtbeutel. Ich bin auf dem Kastelldeck. Ihr könnt sie mir bringen.«
    Ohne die Zuschauer eines Blickes zu würdigen, stieg Adrian Vanderen auf das Achterkastell zu seinem Schiffer. Scheinbar ruhig sah er auf das Meer hinaus. Die Küste wurde von einem Nebelschleier bedeckt, weißgraue Schaumkronen tanzten auf den Wellen. Flach war der Übergang vom Land zum Meer. Nur hier und da schimmerten die herbstbunten Wipfel der Bäume durch den Nebel. Kühler Wind zauste sein Haar, die wenigen Sonnenstunden des Tages schienen vorbei zu sein. Die Fahrgäste zogen sich durch die Schiebeluken unter das Achterkastell zurück. Sie würden dort weiter Wurfzabel spielen, reden oder Geschäfte machen. Heymo Ratze kam die Treppe hoch und reichte ihm den Samtbeutel. Adrian Vanderen nahm ihn wortlos an sich.Sein Schiffer blickte voraus, wirkte aber amüsiert. Bosse Matys war etwa sechzig Jahre alt, hatte schlohweißes Haar und einen kräftigen Körper. Manche hielten ihn für zu alt, um einen Kauffahrer zu führen, doch Adrian vertraute ihm.
    »Ihr wolltet mir noch aus der Thidreksaga erzählen, Bosse. Die Geschichte von Egil und seinem Meisterschuss«, sagte Adrian leichthin. Er liebte Geschichten und fand, man könnte sich die Zeit an Bord gar nicht besser vertreiben als mit Erzählungen. Und ein Vorteil von Bosses Alter war, dass er auf seinen Reisen zahlreiche gute Geschichten gehört hatte und sie auch zu erzählen wusste. Der Schiffer lächelte in sich hinein.
    »Egil war ein Schütze, wie es keinen zweiten an König Nidungs Hof in Jütland gab«, begann er, wurde jedoch unterbrochen. Der Bootsmann hatte ihm etwas zugerufen. Er hatte das Lot aus dem Meer gezogen und die Lotspeise geprüft, also die Beschaffenheit des Sandes und der Muscheln, die an dem mit Talg befüllten

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