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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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überrascht an. Im Gegensatz zu anderen Städten, die von Fürsten oder anderen Landesherren abhängig waren, unterstand Lübeck als freie Reichsstadt dem Kaiser unmittelbar, worauf der Rat der Stadt oft und gerne stolz hinwies. Der Kaiser hatte sich jedoch noch nie in der Stadt sehen lassen.
    Als ob ihr Vater ihre Gedanken erraten hätte, fuhr er fort: »Es ist das erste Mal seit dem Besuch von Friedrich Rotbart, dass ein Kaiser unsere Stadt beehrt. Lübeck liegt so weit am Rande ihres Reiches, dass die Kaiser uns fast zweihundert Jahre haben schalten und walten lassen, wie wir wollten. Aber jetzt, nach unserem Sieg über Dänemark, und da dessen König Waldemar im Sterben liegt, kommt Karl nicht mehr an uns vorbei. Schließlich haben wir im Frieden von Stralsund ein Mitspracherecht über die dänische Thronfolge festgelegt.«
    Henrike freute sich darüber, dass ihr Vater mit ihr sprach wie mit seinesgleichen, auch, wenn sie nicht alles verstand. »Im Frieden von Stralsund«, wiederholte sie nachdenklich und überlegte, ob sie davon schon gehört hatte.
    Die Augen ihres Vaters strahlten. »Vor fünf Jahren haben die Bürger einen König besiegt. Wir Hansen haben dem König von Dänemark den Frieden diktiert. Wir Hansen! De dudesche Hense!«, rief er voller Begeisterung aus.
    De dudesche Hense, das waren die Vertreter der Hanse, eines Verbandes von Kaufleuten und Städten, die sich zum gemeinsamen Wohl zusammengefunden hatten. Ein Halbsatz des Vaters hatte sie jedoch aufgeschreckt. Henrike rutschte auf dem Schemel hin und her. Wie sie auch saß, stets schmerzte ihre Seite.
    »Der dänische König liegt im Sterben? Bedeutet das Krieg?«, fragte sie unsicher.
    Konrad Vresdorp wog seine Antwort ab. »Got dy beware ons. Ich hoffe, dazu wird es nicht kommen. Nicht, dass es mir leid um König Waldemar täte. Viele Freunde und Gefährten haben durch seine Schuld ihr Leben gelassen. Von deiner Mutter ganz zu schweigen. Das werde ich ihm nie vergeben«, fügte er bitter hinzu.
    Henrike hoffte, dass ihr Vater über ihre leibliche Mutter und ihre Zeit auf Gotland sprechen würde, und hakte nach: »Warum hat König Waldemar Wisby eigentlich damals überfallen?«
    Der Blick ihres Vaters war abweisend, einen Moment dachte sie, er würde ihr, wie so oft, keine Antwort geben, doch dann erhob er die Stimme. »Das gotländische Wisby ist einer der ältesten Handelsplätze an der Ostsee. Hier machen die Kaufleute Halt, die weiter nach Osten wollen. Mein Vater war aus Lübeck nach Wisby gekommen und hatte sich, wie etliche vor ihm, dort niedergelassen. Viele Jahre lang ging es ihnen dort gut. Der Handel gedieh. Gotländer und Deutsche verfolgten die gleichen Ziele, waren zu gleichen Teilen im Rat der Stadt vertreten. Doch dann kam Waldemar Atterdag«, er spie den Beinamen des Königs förmlich aus. »Ich habe keine Achtung für ihn übrig, und mag er noch so königlichen Geblüts sein! Atterdag eroberte Land zurück, das einstmals der dänischen Krone gehört hatte.Er wollte jedoch auch die schwedischen und hansischen Konkurrenten zurückdrängen; kurz, er wollte die Herrschaft an der Ostsee und über die Schonische Messe, den größten Handelsmarkt im nordischen Raum. Rücksichtslos überfiel er Gotland, ließ seine Truppen morden und brandschatzen, wie ihnen der Sinn stand. Tausende wurden niedergemetzelt. Im letzten Moment konnten wir von der Insel fliehen, hatten kaum mehr als das, was wir am Leib tragen konnten.«
    »Und mich«, warf Henrike ein.
    »Und dich. Auch dich trug deine Mutter am Leib. Dich schützte sie in schwerer See, dich hielt sie über die Wellen, als unser Boot kenterte und Treibgut ihre Knochen zerschmetterte. Nach dir verlangte sie, als sie in Lübeck im Fieber lag. Dir galt ihr letzter Gedanke, als sie starb.« Seine Stimme brach, und auch Henrike standen die Tränen in den Augen. Sie hatte keine Erinnerung an ihre Mutter, aber sie fragte sich oft, was sie für eine Frau gewesen war.
    Mit einem kräftigen Räuspern schüttelte ihr Vater die Erinnerung ab. »Viel zu lange weilt dieser Waldemar Atterdag schon auf Erden.« Er trank sein Glas in einem Zug aus und stellte es unsanft auf den Tisch.
    »Was glaubst du, wer wird sein Nachfolger werden?«, wollte Henrike wissen.
    »Es ist eine komplizierte und verzwickte Lage«, seufzte er. »Waldemar hat keine Söhne, nur Töchter. Er hat Albrecht von Mecklenburg als seinen Nachfolger ausersehen, den Sohn seiner Tochter Ingeborg, die mit Herzog Heinrich von Mecklenburg,

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