Hansetochter
schon auf der Straße tun sollen!«
Der Knecht ließ sich neben ihr auf den Boden fallen und grinste sie böse an. Panisch dachte Henrike, dass sie die beiden irgendwie aufhalten, ablenken musste.
»Wie hast du es gemacht?«, fragte sie atemlos vor Angst. »Sag schon, wie hast du Vater das Gift gegeben? War es beim Ratsball?«
»Das verrate ich dir doch nicht«, entgegnete ihre Tante in einem seltsam kindischen Tonfall, drehte jedoch gedankenverloren an dem Ring an ihrem Finger.
»Ist es dein Ring? Hattest du ein Giftpulver darin und es in Vaters Wein gestreut?!«, riet Henrike.
»Nun, Rotger, was ist?«, trieb Ilsebe ihren Gehilfen an.
Der Mann blickte Henrike lüstern an.
»Du wirst doch nicht diese Hure deiner Herrin vorziehen?«
Nun näherten sich seine Hände ihrem Hals. Er wollte sie erwürgen!
Die Panik verlieh Henrike neue Kraft. Sie stieß ihn von sich, kam auf die Füße. Um sie herum drehte sich alles, sie taumelte. Das Windenrad schien auf sie zuzuwanken. Ein schwarzes Loch tat sich vor ihr auf, wollte sie hineinsaugen. Sie stolperte über das am Boden liegende Seil, konnte sich gerade noch an einem Balken festhalten, schaute durch die Luke. Wie tief es hier hinunterging! Nun war sie sich sicher: Sie befanden sich tatsächlichin ihrem Elternhaus. Als Kind hatte sie sich oft an das Windenrad geklammert und vorsichtig über die Luke gereckt. Zu gern hatte sie zugesehen, wie die schweren Säcke träge hin- und herschwankend hochgezogen wurden, als seien sie federleicht.
»Wie könnt ihr euch nur unser Haus für eure gottlosen Schäferstündchen aussuchen?«, keuchte Henrike, den beiden aufs Geratewohl eine Affäre unterstellend – jede Ablenkung war Gold wert.
Ihre Tante lachte auf. »Der neue Besitzer kommt erst in ein paar Tagen, wen stört es also? In einem leeren Haus hört niemand unsere Schreie. Und auch nicht deine.«
Ilsebe näherte sich ihr von der einen Seite der Luke, Rotger von der anderen. Gleich wäre Henrike eingekreist, wieder eine Gefangene. Sie wollte weglaufen, zur Treppe hin. Aber noch war sie zu benommen. »Warum hast du es getan, Tante? Hast du meinen Vater denn so sehr gehasst?«
Ein verächtliches Schnauben ging der Antwort voraus. »Dein Vater! Schon in Wisby hatte er auf mich herabgesehen, als Hartwig mich geheiratet hat. Zu alt fand er mich, zu arm. Auch hat ihm nicht gefallen, dass mein Mann so überraschend gestorben war. In der Blüte seiner Jahre aus dem Leben gerissen, hieß es immer! Der Langweiler!« Sie lachte schrill. »Ich dachte, Hartwig wäre anders. War er ja auch. Die ersten Jahre zumindest. Aber dann haben der Suff und sein Unvermögen ihn zugrundegerichtet, diesen Trottel! Und dein feiner Herr Vater? Immer obenauf! Am Anfang hat er uns noch Geld geliehen, aber dann war Schluss damit. Er brauchte das Geld selbst – für die ach so lukrativen Geschäfte mit diesem Vanderen. Wir dachten, ein paar böse Gerüchte würden dem ein Ende machen, aber nichts da!« Ilsebe schnaufte. »Konrad wollte Hartwig auffliegen lassen, seinen eigenen Bruder! Aber was noch schlimmer war, auch Nikolas wäre hineingezogen worden. Das wäre nicht gerecht. Mein Nikolas hat sich nie etwas zuschulden kommen lassen.«
Henrike packte der Hass erneut. Unschuldig war Nikolas nun wirklich nicht. Mit einem Sprung war plötzlich Rotger bei ihr, warf sie um, krachend landeten sie auf den Bohlen. Er wollte sich auf sie wälzen, doch Henrike stieß ihn von sich, hob die Beine, trat nach. Rotger taumelte rückwärts, gegen seine Herrin. Ilsebe geriet über dem Seil ins Straucheln, die Kerze fiel ihr aus der Hand. Dann ein gellender Schrei, ein Krachen und Poltern, das sich wiederholte, immer und immer wieder, das leiser und leiser wurde und schließlich ganz erstarb. Henrike rappelte sich auf und lief auf die Treppe zu. Sie sah Flammen auflodern. Ein Teil des Dachbodens hatte Feuer gefangen! Sie wollte den Brand löschen, zog ihr Wams aus, wich jedoch zurück, als sie Rotger erblickte. Er klammerte sich noch immer an das Windenrad und starrte in die Tiefe, dann wandte er sich ihr zu, die Augen ungläubig geweitet.
»Du hast sie getötet. Du hast die Herrin ... umgebracht.«
Henrike gefror das Blut in den Adern. Ilsebe musste im Handgemenge den Warenaufzug hinuntergefallen sein! Dass sie diesen Sturz überlebt hatte, war wenig wahrscheinlich. Sie näherte sich dem Feuer. Hitze brannte auf ihrem Gesicht. Die Flammen breiteten sich auf den trockenen Bohlen in Windeseile aus,
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