Hansetochter
schließlich sind die beiden befreundet.«
Henrike war ungehalten. »Warum hast du mir das nicht schon früher verraten?«
»Es gab keine passende Gelegenheit. Außerdem hattest du so viel anderes im Kopf. Und, ich gebe es zu, manchmal habe ich es auch einfach vergessen. Ich habe ja nicht immer nur an Simon gedacht, wenn wir zusammen waren.«
Sie schüttelte den Kopf. Etwas an diesem Plan hatte nicht funktioniert. »Aber wie hat es dann in Bergen so weit kommen können?«
Sie berichtete von Claas’ Besuch, dem blutigen Hemd, Nikolas’ Angriffen und der Gleichgültigkeit ihres Onkels.
Verstört setzte Adrian sich auf. »Ich werde sofort Cord losschicken. Er soll das nächste Schiff nach Bergen nehmen und Simon sicher nach Hause bringen. Vielleicht habe ich Liv zu viel zugetraut.«
Auch Henrike erhob sich. »Und ich schreibe Asta endlich einen Brief. Ich muss wissen, wie es ihr geht, und ihr von den Vorgängen hier berichten.«
Sie sah ihn noch einmal an, strich ihm zart durch das Haar. Wie sehr sie ihn liebte!
»Und natürlich schreibe ich auch von den wunderbaren Neuigkeiten!«
~~~
Später bat Henrike Adrian, mit ihr zum Friedhof zu gehen, wo Ilsebe Vresdorp beerdigt werden sollte. Es war nicht so, dass sie sich verpflichtet fühlte, ihrer Tante die letzte Ehre zu erweisen, ganz und gar nicht. Sie wollte einfach sehen, dass die Mörderin ihres Vaters wirklich tot war, dass sie Simon und ihr nichts mehr würde antun können. Auf dem Kirchhof warfen Männer gerade Erde auf das Grab. Hartwig Vresdorp stand neben dem Priester, hinter ihm zwei Büttel, die darauf achteten, dass er sich nicht davonmachte. Ihr Onkel wirkte verbittert und um Jahre gealtert, trug das einfache Wams der Schuldner. Finster funkelte er das Paar an. Wenn ihm Betrug nachgewiesen werden würde, stünde darauf der Tod am Galgen.
Henrike hatte die Frauengestalten, die sich zwischen den Männern befunden hatten, zunächst nicht bemerkt. Doch dann kam Telse plötzlich auf sie zugeschossen wie eine Furie, an ihrer Seite die verräterische Köchin Janne. Wie hatte ihre Base von dem Tod der Mutter erfahren? Wie war sie so schnell hierhergekommen?
»Du hast Unglück über meine Familie gebracht! Meine Mutter ist tot, mein Vater im Gefängnis und ich in Stralsund verheiratet. Gott wird dich strafen dafür!«, zeterte Telse, die schon jetzt durch die Schwangerschaft – ob nun wirklich durch Jost oder doch ihren rechtmäßigen Ehemann – aufzuquellen schien.
Henrike betrachtete ihre Base ruhig. Viel zu lange schon hatte sie ein ums andere Mal wider besseres Wissen zu ihr gehalten.
»Deine Eltern haben das Unglück über meine Familie gebracht. Deine Mutter hat meinen Vater ermordet, das wusstest du doch sicher? Dein Vater bekommt nur das, was ihm zusteht. Und was du getan hast, weißt du selbst am besten.«
Telse kreischte jetzt derart, dass der Priester hektisch das Grab einsegnete und sich dann davonmachte.
»Du lügst! Nikolas wird dich dafür bestrafen, da kannst du sicher sein.«
Jetzt stellte sich Adrian schützend vor Henrike. »Das werde ich zu verhindern wissen. Und jetzt komm, Henrike, du hast gesehen, was du sehen wolltest. Wir sollten nicht länger als nötig bleiben.«
Nur zu gerne kam Henrike seiner Aufforderung nach.
Auf dem Weg zurück wirkte Adrian aufgebracht. »Dieser Zweig deiner Familie erinnert mich manchmal an die schlimmsten Übeltäter aus der Thidreksaga«, entfuhr es ihm.
Sie nahm seine Hand und lehnte sich enger an ihn. »Ich hoffe, dass Telse nur leere Drohungen hervorgebracht hat. Das Schlimmste ist wohl vorüber«, meinte sie zuversichtlich. Es war das, was sie glauben wollte.
Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, fügte sie hinzu: »Du liebst Geschichten, ist es nicht so?«
Doch Adrians Gesicht umwölkte sich noch mehr. Sie hatten inzwischen sein Haus erreicht. Er zog sie auf die Bank zwischen den Beischlagwangen und nahm ihre Hand in die seine.
»Du hast mich einmal nach meinen Eltern gefragt. Ich habe dich damals glauben lassen, dass sie tot sind. Aber das stimmt nicht ganz. Das solltest du wissen, bevor wir heiraten.«
Sein Blick wanderte über die Straße. Es war offensichtlich, dass ihm etwas auf der Seele lag; sie streichelte seine Finger, beunruhigt von der Frage, was nun kommen würde.
»Mein Vater war gewalttätig wie dein Onkel. Er hat sich totgesoffen. Meine Mutter ist in ein Kloster gegangen, als mein Vater starb. Für sie sind wir, ihre Kinder, gestorben.«
Mitgefühl überfiel
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